Best Practice: Wie DHL mit dem case Score internationale Talente rekrutiert

Im Bewerbungsprozess die richtige Wahl treffen. Das ist in Zeiten von Fach- und Arbeitskräftemangel zu einer entscheidenden Kunst geworden. Entscheidend unter anderem für den langfristigen Unternehmenserfolg. Denn Fehlentscheidungen in diesem Bereich sind teuer und langwierig. Die Auswahl passender Kandidaten wird durch die Vielzahl an Hochschulen, Fächern und Abschlüssen nicht einfacher. Gerade wenn man bedenkt, dass Unternehmen Kandidaten durch die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle wie Remote Work zunehmend auf internationalen Arbeitsmärkten suchen können. Die algorithmenbasierten Scores von case helfen dabei, bessere Personalentscheidungen zu treffen und die besten Bewerber:innen auszuwählen.

Case war bereits mehrfach mit unterschiedlichen Themen im Queb Blog zu Gast (s. Links im Text) und konnten 2020 die begehrten Queb HR Innovation Awards gewinnen.

Unser folgendes Gespräch beleuchtet, am praktischen Beispiel von DHL, warum der case Score für Unternehmen eine signifikante Vereinfachung und Optimierung bei der Auswahl qualifizierter (internationaler) Bewerber:innen darstellt. Dass wir diesen Best Practice Fall veröffentlichen können, macht uns deswegen besonders stolz, weil DHL gleichzeitig ein Queb Mitgliedsunternehmen ist!

Unsere Gäste im Gespräch sind Dr. Kristina Gushchina (Senior Data Scientist und Projektmanagerin im Bereich People Analytics DHL) sowie Dr. Philipp Karl Seegers (Gründer von case).

Wir wünschen euch viel Spaß und Inspiration beim Interview!

Stellt euch bitte unseren Lesern einmal kurz vor!

Ich bin Kristina, Senior Data Scientist und Projektmanagerin im Bereich People Analytics bei DHL. In unserer Abteilung sind wir im Großen und Ganzen für drei Aspekte der Personaldaten verantwortlich: Wir betreiben das interne und externe Berichtswesen, unterstützen den Konzern mit Personaldaten und stellen BI-Anwendungen zur Verfügung, und wir werten unsere Personaldaten aus, um Prozesse zu verbessern.

Best Practice: Wie DHL mit dem CASE SCORE internationale Talente rekrutiert | Kristina Gushchina Dhl Philipp Karl Seegers Case

Ich bin Philipp, Arbeitsmarktökonom und Gründer von case. Als Wissenschaftler beschäftige ich mich vor allem mit dem Übergang zwischen Hochschule und Arbeitsmarkt. Aus einem Forschungsprojekt an der Uni Bonn ist dann auch candidate select (kurz case) entstanden. Es macht wahnsinnig viel Freude, die eigene Forschung nicht nur zu publizieren, sondern damit auch praktische Probleme zu lösen.

@Philipp: Gib uns und unseren Lesern, die case noch gar nicht kennen, doch bitte eine kurze Zusammenfassung zu eurem Produkt, dem case Score. Wie hilft er Arbeitgebern und Kandidaten?

Es gibt kaum eine Zeit im Leben, in der wir so engmaschig geprüft und bewertet werden wie im Studium. Dennoch besteht nur ein sehr schwacher Zusammenhang zwischen Noten und späterer beruflicher Leistung. Der Grund hierfür sind Unterschiede in der Notenvergabe und Leistung der Studierenden. Genau hierzu sammeln wir bei case weltweit Daten und können so Abschlüsse in den jeweiligen Kontext einordnen. Im Rahmen von mehr als 30 Studien, zwei davon mit DHL, konnten wir zeigen, dass diese datengetriebene Einschätzung von Hochschulabschlüssen – im Gegensatz zu Noten selbst – ein richtig guter Prädiktor für das Abschneiden im Einstellungsprozess und für die spätere Arbeitsleistung ist.

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Case war bereits einige Male im Queb Blog (2020) und Podcast (2021) zu Gast. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass case 2021 die Queb HR Innovation Awards gewonnen hat. Ihr wart in der Zwischenzeit fleißig und habt weiter an eurem Produkt, gefeilt.
Bring uns doch mal auf den neuesten Stand, Philipp: Was hat sich gegenüber 2021 alles getan?

Wir sind ja noch viel länger an dem Thema dran – die ersten Fördergelder für unser Forschungsprojekt an der Uni Bonn haben wir 2015 erhalten. Daten sammeln wir bereits seit 2012. Mit der Zeit haben sich vor allem zwei Dinge verändert: (1) Die Abdeckung unserer Daten: Gestartet sind wir mit einem Algorithmus für Deutschland, dann Europa, Indien (hierfür haben wir den Queb-Award erhalten), China, die USA und seit letztem Jahr haben wir eine weltweite Abdeckung. (2) Der Automatisierungsgrad: Zu Beginn musste man recht kompliziert die konkrete Hochschule oder das Studienfach in langen Dropdown-Listen finden. Inzwischen ist mit Blick auf Sprachmodelle und KI viel passiert und wir können mit Freitextangaben arbeiten. Für eigentlich alle gängigen Applicant-Tracking-Systeme (ATS) haben wir inzwischen eigene Anwendungen und Integrationen gebaut. Diese beiden Entwicklungen sind für uns enorm wichtig gewesen. Nun können unsere Kunden eine vollkommen automatische und dennoch diagnostisch hochwertige Einschätzung zu ihren Bewerbenden erhalten.

@Kristina: Diese globale Abdeckung ist natürlich vor allem für Unternehmen interessant, die auch über europäische Grenzen hinweg rekrutieren. Wie viele Stellen besetzt DHL pro Jahr und welche Zielgruppen und Länder haben für euch die größte Bedeutung, Kristina?

Als ein internationales Unternehmen, das in mehr als 220 Ländern und Gebieten tätig ist, hat es uns besonders gefreut, dass case nun eine globale Abdeckung hat. Im Durchschnitt haben wir weltweit etwa 100.000 Stellenausschreibungen pro Jahr. Die meisten Stellen werden natürlich in den 10 Ländern mit den meisten Mitarbeitenden ausgeschrieben, zu denen Deutschland, die USA, das Vereinigte Königreich, Indien, Mexiko und Brasilien zählen. Die wichtigsten Zielgruppen sind von Land zu Land und von Abteilung zu Abteilung innerhalb der DHL Group unterschiedlich. Wir sind jedoch immer auf der Suche nach Frontline-Spezialisten, Data Scientists und IT-Alleskönnern.

@Kristina: Was war der Grund dafür, das bisherige Vorgehen zur Auswahl von Kandidaten zu verändern?

Wir glauben daran, dass wir agil sein und uns an die sich ändernden Marktbedingungen anpassen müssen. Wenn wir die besten jungen Fachkräfte und Hochschulabsolventen aus der ganzen Welt anwerben wollen, müssen wir schnell handeln, um sie nicht an unsere Konkurrenten zu verlieren. Es ist jedoch noch zu früh, um über eine Änderung unseres gesamten Ansatzes bei der Bewerberauswahl zu sprechen. Derzeit befinden wir uns in der Pilotphase einer case-API-Integration in eines unserer ATS (Applicant Tracking System) zur Anwerbung junger Talente. Unser größtes Traineeprogramm prüft ebenfalls den Nutzen von case. Aufgrund des guten Feedbacks von Recruitern und Personalverantwortlichen werden wir weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit case prüfen.

@Kristina: Auf welche Weise helfen euch die Daten von case dabei, eure Aufgabe besser zu machen?

Case hilft uns dabei, den Rekrutierungsprozess durch die Personalverantwortlichen datengetrieben zu verbessern. Aufgrund der hohen Anzahl von Bewerbungen ist ein schnelles und effizientes Auswahlverfahren für uns sehr wichtig. Da wir Bewerbungen aus der ganzen Welt erhalten, ist es für Personalverantwortliche eine Herausforderung, alle Universitäten und Studiengänge einzuordnen. Case hilft dabei, die Studienleistungen der Bewerber in einen Kontext zu stellen, um eine rein subjektive Bewertung zu vermeiden. Dies ist natürlich vor allem für junge Berufstätige und Hochschulabsolventen relevant, die erst wenig Berufserfahrung haben. Case Scores lassen sich problemlos mit anderen internen Einstellungsmaßnahmen kombinieren: Skill-Matching, Assessment-Center, Vorstellungsgespräche usw. Es liegt dabei aber stets im Ermessen des Recruiters und des Personalleiters, in welcher Phase des Einstellungsverfahrens er oder sie die Bewerber auf der Grundlage ihrer case Scores sortiert. Über die Bewerbung entscheiden dann nach wie vor die jeweiligen Personalverantwortlichen. Die case Scores nehmen den Auswahlprozess also nicht vorweg. Sie können im Rahmen der Entscheidungsfindung aber ein hilfreiches Werkzeug sein. Letztendlich glaube ich, dass die case Scores dazu beitragen, die Personalbeschaffung transparenter, kosteneffizienter und fairer zu gestalten.

@Kristina: Welche Veränderungen könnt ihr durch den Einsatz des case Scores konkret beobachten? Kannst du hierzu einige Daten mit uns teilen?

Es ist noch zu früh für uns, über bestimmte Änderungen zu sprechen – wir befinden uns noch in der Pilotphase. Wir haben jedoch einige vielversprechende Ergebnisse während unserer Validierungsstudie mit case erhalten, die wir mit den Rekrutierungsdaten aus unserem Traineeprogramm durchgeführt haben. So haben wir beispielsweise festgestellt, dass die case Scores stark mit den Ergebnissen der letzten Phase des Rekrutierungsprozesses korrelieren. Das heißt, sie können nicht nur vorhersagen, wer es in diese letzte Phase schafft, sondern auch, wer dort eine gute Bewertung erhält. Folglich gab es auch eine starke Korrelation zwischen den case Scores und dem tatsächlichen Angebot einer Stelle. Diese Ergebnisse sind gut, wenn man bedenkt, dass case nur 5 Bildungsdatenpunkte berücksichtigt und nicht Teil des offiziellen Einstellungsverfahrens ist. In diesem Sinne hoffen wir auch, dass die case Scores uns helfen werden, die Zeit bis zur Einstellung zu verkürzen. Aber wir müssen auf die Daten warten, um das zu beweisen.

Philipp: Die Erfahrung mit Blick auf andere Kunden zeigt, dass dies eine berechtigte Hoffnung ist. Wie die Kunden die Scores nutzen, ist natürlich nicht unsere Entscheidung. Es gibt aber spannende Anwendungsfälle, bei denen Kunden zum Beispiel Bewerbende mit guten case Scores „fast-tracken“, also bestimmte Prozessschritte überspringen lassen. Die Interviewqualität ist dadurch gestiegen. Außerdem wissen wir, dass Personen mit gutem case Score bessere Arbeitsbewertungen erhalten und schneller befördert werden. Gerne teile ich hier eine Zusammenfassung der durchgeführten Kundenstudien mit einigen „Best-Practices“.

@Kristina: Hat der case Score die Interaktion mit den Kandidaten beeinflusst? Gibt es Feedback von Bewerbenden über das Auswahlverfahren, seitdem ihr den case Score nutzt?

Nein, die Interaktion mit den Bewerberinnen und Bewerbern bleibt unverändert. Sie müssen keine zusätzlichen oder persönlichen Informationen einreichen. Wir bewerten nur ihre Bildungsdaten, die bereits in den Lebensläufen enthalten sind. Die Personalverantwortlichen führen nach wie vor persönliche Gespräche mit den Bewerbern und bewerten andere wichtige Aspekte, wie Fähigkeiten, Praktika, persönliche Eigenschaften usw. Die endgültige Einstellungsentscheidung liegt immer bei den Personalverantwortlichen. Die case Scores helfen ihnen lediglich, sich durch Hunderte von Bewerbungen zu navigieren und ein vollständiges, objektives Bild der Bewerber zu erhalten.

@Kristina: Könnt ihr feststellen, ob die Zusammenarbeit mit case Einfluss auf eure Mitarbeiterbindung hat? Etwa, weil das Matching besser passt?

Als Datenwissenschaftlerin würde ich gerne die Daten zu Arbeitsleistung, Beförderungen und Mitarbeiterbindung der Bewerber analysieren, die ihre case Scores erhalten haben und eingestellt wurden. Leider sind wir derzeit nicht in der Lage, den gesamten Weg einer Person vom Bewerber bis zum Mitarbeiter zu verfolgen. Ich hoffe, dass wir diese Daten in Zukunft erhalten und eine solche Analyse durchführen können.

  1. @Beide: Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen case und DHL auf operativer Ebene aus? Gibt es regelmäßige Abstimmungen oder gemeinsame Workshops? Oder ist der Einsatz nach der Einführung ein Selbstläufer?

Krisina: Ich kann nur für mich selbst sprechen, aber ich habe die Zusammenarbeit mit case immer sehr genossen – von der ersten Validierungsstudie bis zur aktuellen API-Integration. In den letzten Jahren habe ich miterlebt, wie case von einem kleinen Start-up der Universität Bonn zu einem größeren Unternehmen gewachsen ist. An unserer Kommunikation hat sich dadurch jedoch nichts geändert. Philipp und seine Kollegen sind immer nur einen Anruf entfernt, um über ihren Algorithmus, ihre Datenbank, Änderungen und unsere Anliegen und Fragen zu sprechen. Wir haben mit der API-Integration selbst auch gute Erfahrungen gemacht, denn case hat viel Arbeit auf sich genommen, um den technischen Prozess für uns so reibungslos und einfach wie möglich zu gestalten. Auch nach der Einführung stehe ich noch regelmäßig mit case in Kontakt, wenn ich Fragen habe. Sie schicken mir auch monatliche Updates über unsere Nutzung der case Scores.

Philipp: Das kann ich nur zurückgeben, Kristina – auch, wenn die Termine mit der abgeschlossenen Integration jetzt leider seltener geworden sind. Ein direkter Draht ist aber wirklich wichtig – die Kollegin von Kristina, die Avature betreut und ein Developer von uns haben zum Beispiel einen Teams-Chat aufgemacht. Das hat geholfen, die komplette Integration innerhalb weniger Arbeitstage umzusetzen, und es ist auch noch richtig hübsch geworden!

@Kristina: Gibt es bei DHL denn Pläne, den Einsatz des case Scores auf weitere Zielgruppen auszuweiten?

Was die Zielgruppen betrifft, sind case Scores auf junge Berufstätige beschränkt. Ich halte es nicht für sinnvoll, Bewerber für leitende Positionen mit case Scores zu evaluieren. In der derzeitigen Pilotphase konzentrieren wir uns auf Bewerber, die sich für unsere Absolventen- und Traineestellen bewerben. Wenn das Pilotprojekt erfolgreich ist, planen wir, es auch auf Praktikanten auszuweiten.

@Philipp: Man sagt ja so schön, „the Sky is the limit.“ Wie geht es denn bei case weiter, nachdem ihr die globale Abdeckung schon erreicht habt?

Wir haben noch viele Ideen in der Pipeline. Für die Einschätzung von Berufserfahrung haben wir zum Beispiel schon ein erstes Modell entwickelt – es gibt ja nicht nur bei Noten eine gewisse Inflation, sondern eben auch bei Job-Titeln. Produktentwicklung ist für uns allerdings der einfache Teil – Daten und Algorithmen können wir. Ich gebe gerne ein Beispiel: Trotz der weltweiten Abdeckung sind unsere Kunden noch zu rund 80 % in Deutschland, wenngleich diese Bewerbungen aus aller Welt bekommen. Vor allem mit Blick auf die Unternehmensentwicklung haben wir also noch viel zu tun und viel zu lernen.

Vielen lieben Dank euch beiden, für die ausführlichen Antworten. Wir sind schon gespannt auf die weiteren Entwicklungen in eurer Pipeline und wünschen euch auch weiterhin viel Erfolg!

Dominik Bernauer

Dominik Bernauer ist Berater, Autor, Blogger und Ghostwriter.
Sein Themenspektrum erstreckt sich über diverse Bereiche wie, Employer Branding, HR, New Work, Digitalisierung, Medien, Marketing und Technologie.
Dominik unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, sich in diesen komplexen Feldern zurechtzufinden und ihre Ziele zu erreichen.

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