Die Unterteilung in Generation X Y Z & Co. ist beliebt in der Arbeitswelt. Doch die empirische Forschung zeigt, dass es bei sich bei der Unterteilung in Generation X Y Z & Co. nur um einen Mythos handelt, der sich empirisch kaum belegen lässt. Und der könnte HR möglicherweise sogar mehr schaden als nutzen.
Um der Sache mal richtig auf den Grund zu gehen, haben wir mit Prof. Dr. Martin Schröder über seine Forschungsergebnisse gesprochen. Sein Vortrag vor Mitgliedern des Queb Bundesverbands im Mai 2024, war für viele ein Augenöffner.
Stell Dich unseren Lesern doch bitte einmal kurz vor!
Ich bin Martin Schröder, Professor für Soziologie an der Universität des Saarlandes und empirischer Sozialforscher.
Wie kam die Idee auf, sich mit dem Thema Generationen und Generationenunterschiede zu beschäftigen?
Eine Literaturagentur sprach mich an, dass ich doch ein Buch über die etwas verwöhnte und verweichlichte neue Generation schreiben könnte.
Du argumentierst, dass es empirisch keine Generationen gibt und Generationenunterschiede ein Mythos sind. Wie bist Du zu dieser Erkenntnis gekommen?
Ich willigte zu der Buch-Idee ein und begann, im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), eine seit fast 40 Jahren währende Umfrage mit etwa 800.000 Befragungen, nach entsprechenden Effekten zu suchen. Aber nicht nur fand ich diese Effekte nicht. Ich fand auch so gut wie keinerlei andere Effekte. Immer wieder, wenn man versucht, Einstellung mit dem Geburtsjahr zu erklären, findet sich also: nichts.
Deine Datenanalyse zeigt, dass Alters- und Periodeneffekte die vermeintlichen Generationenunterschiede erklären. Kannst Du dies näher erläutern?
Jeder ändert individuell seine Einstellung im Verlauf seines Lebens. Einfacher gesagt: Alte Menschen denken meistens nicht genauso wie junge. Man nennt das ganz banal Alterseffekte. Beispielsweise werden die meisten mit dem Alter etwas konservativer. Zudem denken alle Gesellschaftsmitglieder heute anders als früher. Man nennt das Periodeneffekte, könnte es aber genauso gut beispielsweise Zeitgeist nennen. Was wir für Generationeneffekte halten, besteht im Wesentlichen aus diesen Alters- und Periodeneffekten. Wir verwechseln also den eigentlich banalen Umstand, dass alte Menschen anders denken als junge und wir alle heute anders denken als früher mit Generationen.
Welche Rolle spielen Alterseffekte bei der Erklärung von Einstellungsunterschieden zwischen Menschen?
Junge Menschen denken anders als Alte. Das sind aber keine Generationeneffekte, wenn sich zeigt, dass die heute Jungen sich mit zunehmendem Alter selbst in Richtung der heute Alten verändern. Generationen dahingegen müssten ihr Leben lang unterschiedlich bleiben, weil sie durch ihre Jugendjahre für immer auf eine bestimmte Weise geprägt sind.
Inwiefern beeinflussen Periodeneffekte, also der jeweilige Zeitgeist, die Einstellungen aller Generationen gleichermaßen?
Wir alle denken heute anders als früher. Wenn wir nun merken, dass junge Leute anders drauf sind, als sie es früher waren, denken wir schnell, dass da Generationen hinter stecken. In Wirklichkeit machen die jungen Menschen aber nur die Veränderung durch, die der Rest der Gesellschaft auch durchmacht.
Du findest zwar einige minimale Generationenunterschiede, hältst diese aber für vernachlässigbar. Ab wann würdest Du Unterschiede als relevant einstufen?
Man nutzt da das Kriterium der statistischen Signifikanz. Wenn trotz mehrerer hunderttausend Befragungen unterschiedliche Generationen also nur so schwach vom Mittelwert der sonstigen Antworten abweichen, dass man trotz der enormen Datengrundlage nicht unterscheiden kann, ob diese kleinen Schwankungen innerhalb des Bereichs des statistischen Zufalls sind, dann kann man wirklich mit gutem Gewissen sagen, dass es keine nennenswerte Generationeneffekte gibt. Ansonsten findet man beispielsweise manchmal Unterschiede von, sagen wir, einer Abweichung von 0,2 auf einer Meinungsskala von 4 Punkten. Ob man das für viel oder wenig hält, kann jeder natürlich selbst entscheiden. Darum habe ich die ganzen Ergebnisse ja frei verfügbar auf meinem Blog im Beitrag „Warum es keine Generationen gibt“ veröffentlicht.
Was denkst Du, warum wir trotz fehlender empirischer Evidenz weiterhin so gerne an das Konzept der Generationen glauben?
Erst mal, weil viele der Befunde deskriptiv richtig erscheinen und es in gewisser Weise auch sind. Wir sehen also junge Menschen und bemerken, dass die anders sind als alte. Und das ist auch richtig. Doch das sind eben Alterseffekte, die erstmal nur genau das zeigen, eben dass junge Menschen anders sind als Alte. Dann bemerken wir, dass junge Menschen anders sind als früher. Auch das ist erst mal richtig. Es weist aber auch nicht auf einen Generationeneffekt hin, sondern die Jungen machen einfach nur die Veränderung mit, die alle anderen in der Gesellschaft im Laufe der Zeit auch mitgemacht haben. Genauso könnten wir also messen, dass heute 50-jährige anders sind als 50-jährige früher waren. Das ist eben ein Periodeneffekt, der alle betrifft. Wie bei fast allen Vorurteilen, hält sich auch der Generationenmythos so hartnäckig, weil es erst mal mit unserem Alltagsempfinden übereinstimmt.
Wie bewertest Du die Praxis, Menschen aufgrund ihres Geburtsjahres in Gruppen einzuteilen und zu stereotypisieren?
Genau das ist der Punkt, wo es beginnt, problematisch zu werden. Unser Gehirn kann quasi gar nicht anders, als Menschen in Gruppen einteilen zu wollen. Und wenn man jetzt beispielsweise sieht, dass Frauen besonders als Mütter weniger Stunden Erwerbsarbeit leisten als Männer, dann schieben wir diese ganz schnell in eine Kategorie: „Aha, Frauen haben also anscheinend einfach nicht so viel Lust auf Arbeit.“ Genau denselben Fehler machen wir heute, wenn wir für Menschen eine Generationenkategorie aufmachen, die aber eigentlich empirisch gar nicht viel über sie aussagt. Selbst das wäre nur halb so schlimm, wenn aufgrund dieser Stereotypisierung nicht auch eine Diskriminierung folgen würde. Dieser „Generationismus“ ist aber genauso falsch, wie beispielsweise Rassismus und Sexismus. Denn er nimmt Menschen nicht als Individuen wahr, sondern erklärt sie durch ihre Gruppenzugehörigkeit, was nicht nur falsch, sondern als Diskriminierung auch illegal ist. Und all das könnte man vielleicht noch nachvollziehen, wenn es denn wenigstens auf belastbaren Daten basiert, was es jedoch nicht tut, denn wie gesagt, empirisch kann man Einstellungen nicht mit dem Geburtsjahr erklären, sobald man Alters- und Periodeneffekte rausgerechnet hat.
Der Beitrag in Deinem Blog nahe, dass die Generationenforschung ein lukratives Geschäftsmodell ist. Warum siehst Du das so?
Ich kann nur jedem dazu raten, einfach mal „Generationen“ in eine beliebige Internetsuchmaschine einzugeben. Sofort findet man Unternehmensberatungen, Coaches und Bücher, die einem erklären wollen, wie man mit vermeintlich unterschiedlichen Generationen umgeht. Menschen verdienen einfach Geld damit, Ratschläge zu einem Thema zu geben, das sie selbst vorher als Generationenmythos etabliert haben.
Welche Alternativen zum Generationenkonzept schlägst Du vor, um Einstellungsunterschiede in der Gesellschaft zu erklären?
Die beiden genannten Alters und Periodeneffekte. Ja, wenn Sie in einem Unternehmen tätig sind, werden die dort tätigen jungen Menschen wahrscheinlich andere Einstellungen haben als die älteren. Und alle in Ihrer Belegschaft werden heute wahrscheinlich andere Wünsche, Sorgen und Prioritäten haben, als sie es vor 10, 20 oder 30 Jahren hatten. Natürlich sollte man darauf Rücksicht nehmen. Es hat nur nichts mit Generationen zu tun. Oder mal ganz einfach gesagt: wenn Sie an einer bestimmten vermeintlichen Generation merken, dass denen irgendetwas wichtiger ist als früher, dann gehen Sie davon aus, dass es entweder daran liegt, dass junge Menschen schon immer anders gedacht haben als früher oder alle in ihrer Belegschaft heute etwas anderes wollen als früher.
Wie können Unternehmen und Organisationen bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden Deiner Meinung nach besser machen, als auf vermeintliche Generationenzugehörigkeiten zu setzen?
Wenn Sie in diesem Fall das Stichwort Generation als Shortcut nutzen wollen, um zu sagen: Junge Menschen, die derzeit in den Arbeitsmarkt einsteigen, wollen, etwas Bestimmtes, dann können Sie das machen. Gehen Sie nur nicht davon aus, dass diese vermeintlichen Generationenunterschiede dazu führen werden, dass Menschen eines bestimmten Geburtenjahrgangs sich dauerhaft von allen anderen unterscheiden werden. Sogenannte Multilevelregressionen zeigen, dass 80–95 % der Varianz der individuellen Einstellungen durch das jeweilige Individuum zu erklären ist, nicht durch dessen Gruppenzugehörigkeit. Sie werden also so oder so nicht darumkommen, ganz individuell zu fragen, was ein bestimmter Arbeitnehmer oder eine bestimmte Arbeitnehmerin möchte. Das wird mehr weiterhelfen, als jede Art soziologischer Gruppencharakterisierung als Mann oder Frau, als Mitglied dieser oder jener Generation oder jedwede sonstige vermeintliche identitätsstiftende Gruppenzugehörigkeit.
Planst Du weitere Forschung zu diesem Thema oder die Veröffentlichung eines Buches, um Deine Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Es ist offen gestanden, etwas ermüdend. Denn nicht nur ich, sondern auch beispielsweise Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig, ganz zu schweigen, von vielen internationalen begutachten Fachzeitschriftenartikeln haben den Befund, den ich hier darlege, nun schon mehrfach gezeigt. Doch es scheint fast ein wenig egal, wie oft man es berechnet und medial in die Öffentlichkeit trägt. Der sogenannte Generationmythos scheint einfach nicht totzukriegen, vielleicht auch aus den oben genannten Gründen. Als Wissenschaftler werde ich meine Daten zu Einstellungsunterschieden einmal jährlich mit neuesten Umfragedaten des SOEP updaten und auf mein Blog stellen, wo man die wichtigsten Einstellungsunterschiede zwischen vermeintlichen Generationen sehen kann, um zu schauen, ob sich doch noch mal etwas ergibt. Aber ich bin eigentlich kein Generationenforscher und werde es auch nicht. Ich bin einfach nur empirischer Sozialforscher, der seine normalen statistischen Methoden mehr oder weniger zufälligerweise auf dieses Thema gelenkt hat und dort nichts gefunden hat, was die Aussage unterschiedlicher Generationen rechtfertigen könnte. Aber anders als beispielsweise vor zehn Jahren, ist die Aufdeckung von Generationen als Mythos ja nun eigentlich schon geschehen. Und wer will, kann das sowohl in der wissenschaftlichen Fachliteratur, als auch in die Medien nachlesen. Ich glaube, viel mehr kann man als Wissenschaftler eigentlich nicht mehr tun.
Dieses Interview führte Dominik Bernauer
Dominik Bernauer ist Berater, Autor, Blogger und Ghostwriter. Sein Themenspektrum erstreckt sich über diverse Bereiche wie, Employer Branding, HR, New Work, Digitalisierung, Medien, Marketing und Technologie. Seit mehr als 15 Jahren unterstützt Dominik Unternehmen und Organisationen dabei, sich in diesen komplexen Themenfeldern zurechtzufinden und ihre Ziele zu erreichen.