Internationales Recruiting rückt aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland immer mehr in den Vordergrund. Im Interview spricht Fabian Scholz, Neffe von Bundeskanzler Olaf Scholz, über die Bedeutung erfolgreicher Integrationsmaßnahmen für internationale Fachkräfte. Fabian gibt im Interview praxisnahe Tipps (u. a. für den Mittelstand), um Talente aus aller Welt anzuziehen und langfristig zu binden. Von der Gestaltung moderner Karriereseiten über kulturelle Integration bis zu gezielten Recruiting-Strategien. Das Gespräch bietet wertvolle Einblicke für alle, die im Bereich HR, Recruiting und Employer Branding arbeiten. Nach dem Interview weißt du, wie du mit gezielten Maßnahmen deine Attraktivität als Arbeitgeber steigerst und im globalen Wettbewerb um Talente punkten kannst.
Und jetzt viel Spaß und Inspiration beim Interview!
Fabian, Du bist Mitgründer von WTE Search. Erzähl uns bitte kurz von Deiner Motivation zur Gründung dieses Start-ups und Eurer Mission.
Wir haben es uns zur Mission gemacht, internationale Talente aus den Bereichen Ingenieurwesen und Tech mit kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland zusammenzubringen. Dabei unterstützen wir Arbeitgeber im gesamten Recruiting-Prozess von der Suche über die Vermittlung bis zum Relocation-Service. Mein Mitgründer Jakob und ich haben erkannt, dass viele Arbeitgeber gerade in den Zukunftsbranchen nicht mehr darauf warten wollen, dass die Politik die Lücke von derzeit 149.000 offenen Stellen in der IT-Branche schließt. Sie wollen selbst aktiv werden, stoßen dabei aber immer wieder auf Hürden: Wie finden sie geeignete Talente? Wie können sie qualifizierte Menschen von Deutschland als attraktivem Arbeits- und Lebensmittelpunkt überzeugen? Und wie gelingt ihre Integration? Mit unserer digitalen Recruiting-Plattform für internationale Fachkräfte, die sich auf Ingenieurwesen und Tech spezialisiert haben, bieten wir Antworten auf genau diese Fragen.
Welche Fragen stellen internationale Bewerber besonders häufig? Und wie können Unternehmen sich darauf einstellen?
Internationale Bewerber stellen oft praktische Fragen zum Alltag in Deutschland. Unsere Erfahrung zeigt: Sie interessieren sich besonders für folgende Themen:
- Wohnungssuche in Deutschland
- Funktionsweise des öffentlichen Nahverkehrs
- Möglichkeiten zum Lebensmitteleinkauf
Auch die soziale Integration beschäftigt sie. Viele internationale Bewerber machen sich Gedanken darüber, wie sie in Deutschland Anschluss finden und ein soziales Netzwerk aufbauen können. Drei Dinge fragen sie oft nach:
- Wie schließe ich Freundschaften?
- Welche Freizeitangebote gibt es?
- Wie kann ich die lokale Kultur kennenlernen?
Natürlich gibt es auch viele Fragen zum Arbeitsalltag:
- Wie sehen die Arbeitszeiten aus?
- Wie werden Pausen gehandhabt?
- Welche Besonderheiten gibt es im Unternehmen zu beachten?
Vieles davon ist für uns selbstverständlich, kann aber für jemanden aus einem anderen Kulturkreis erklärungsbedürftig sein. Unternehmen können ihren internationalen Mitarbeitenden bei diesen Themen mit einem „Willkommenspaket“ helfen. Es sollte einige prinzipiell wichtige Informationen beinhalten. Etwa über die Region, Tipps für den Alltag in Deutschland und Hinweise auf lokale Aktivitäten und Vereine. Weiterhin sollten Unternehmen ihre Talente bei praktischen Dingen wie der Wohnungssuche oder Behördengängen unterstützen.
Für den Arbeitsalltag empfehle ich dem Arbeitgeber eine Art „Kulturleitfaden“ für seine neuen Talente. Der enthält bestenfalls Informationen über typische Abläufe im Unternehmen. Oder auch zu bestimmten Erwartungen und ungeschriebenen Regeln. Das hilft nicht nur den internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern kann auch für Neueinsteiger aus Deutschland wertvoll sein.
Denkst Du, Unternehmen können die Antworten auf diese häufig gestellten Fragen nutzen, um ihr Employer Branding zu stärken?
Auf jeden Fall! Der Umgang mit Fragen internationaler Bewerber prägt das Employer Branding eines Unternehmens enorm. Firmen zeigen auf diese Weise, dass sie die Anliegen ihrer internationalen Mitarbeitenden verstehen und ernst nehmen. Sie denken über die Herausforderungen der Bewerber nach und erscheinen dadurch als fürsorgliche und vorausschauende Arbeitgeber. Für internationale Bewerber spielen grundsätzlich mehrere Faktoren eine wichtige Rolle bei der Jobwahl. Dazu gehört definitiv eine offene Kommunikation über mö
Wie können Unternehmen sich schon in der Bewerbungsphase als attraktiver Arbeitgeber für internationale Fachkräfte positionieren?
Die eigene Karrierewebsite ist einer der größten Hebel, den ein Unternehmen hierfür hat. Mit einer Seite in verschiedenen Sprachen positioniert es sich positiv und proaktiv auf dem internationalen Markt. Hier verpassen viele ihre Chance. Eine aktuelle Studie unter 20.000 deutschen Mittelständlern zeigt: Nur etwa 25 Prozent nutzen eine eigene Unternehmensseite auf wichtigen Netzwerk- und Recruitingkanälen wie LinkedIn. Hier schlummert das größte Potenzial.
Unternehmen mit einer sinnvoll eingesetzten Website genießen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Dazu empfehle ich folgende Maßnahmen:
1. Erstellen einer umfassenden Karriereseite. Mit Einblicken in die Unternehmenskultur, den Standort und die Maßnahmen zur Unterstützung internationaler Fachkräfte bei der Integration.
2. Authentische Eindrücke vom Arbeitsalltag und der Unternehmenskultur, beispielsweise durch Mitarbeiterportraits, kurze Videos oder Fotos aus dem Arbeitsalltag.
3. Ausführliche Stellenbeschreibungen. Die Stellenbeschreibungen sollten nicht nur die Position beschreiben, sondern proaktiv auf Fragen internationaler Bewerber eingehen. Auch Informationen zum Bewerbungs- und späteren Integrationsprozess sollten sie nicht aussparen.
4. Erfolgsgeschichten teilen: Wenn das Unternehmen bereits Erfolgsgeschichten mit internationalen Kolleginnen und Kollegen vorweisen kann, sollte es diese teilen. Die Website ist der optimale Ort dafür. Testimonials und Erfahrungsberichte von bereits erfolgreich integrierten Fachkräften können sehr überzeugend sein.
5. Schließlich sollte die Website natürlich auch in englischer Sprache verfügbar sein.
Mit diesen Maßnahmen positionieren Unternehmen sich als attraktiver, internationaler und mitarbeiterorientierter Arbeitgeber. Damit machen sie den entscheidenden Unterschied, wenn es darum geht, internationale Top-Talente für sich zu gewinnen.
Inwiefern unterscheiden sich Deiner Erfahrung nach die Erwartungen und Bedürfnisse internationaler Bewerber von denen deutscher Kandidaten?
Der Schritt, für seinen Beruf ins Ausland zu gehen, bedeutet eine große Veränderung. Daher schauen internationale Bewerber bei ihrer Jobsuche in Deutschland ganz genau hin. Und sie haben dementsprechend auch andere Erwartungen und Bedürfnisse an einen neuen Arbeitgeber als deutsche Bewerber. Ein zentraler Punkt ist die Unterstützung beim Umzug. Insbesondere bei der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, aber auch bei Behördengängen und dem Aufbau eines neuen sozialen Netzwerks. Und natürlich spielt auch der Arbeitsalltag eine zentrale Rolle im Erwartungsmanagement internationaler Fachkräfte. Sie möchten wissen,
- wie es mit der kulturellen Vielfalt aussieht
- welche Sprache das Unternehmen spricht
- wie sie dort hineinpassen und selbstverständlich auch,
- welche Möglichkeiten von Heimarbeit, flexiblen Arbeitszeiten und regelmäßigen Heimatbesuchen es gibt.
Zudem spielt das Thema Entwicklungsmöglichkeiten eine große Rolle. Menschen, die ihr Heimatland für den Job verlassen, möchten aussichtsreiche Perspektiven haben. Damit einhergehen detaillierte Informationen über Land und Leute, mit denen sie es zu tun haben. Das erleichtert den Einstieg in den Alltag sowie die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Unternehmen dürfen den großen Schritt, den diese Menschen wagen, nicht unterschätzen.
Welche Rolle spielt Deiner Meinung nach die kulturelle Integration bei der langfristigen Bindung internationaler Mitarbeiter?
Die kulturelle Integration ist oft der Schlüssel dafür, dass sich Bewerber aus anderen Ländern insgesamt wohlfühlen. Und damit schließlich länger in Deutschland und damit auch an ihrem neuen Arbeitsplatz bleiben wollen. Eine Studie, die internationale Fachkräfte zu ihren größten Problemen befragt, zeigt, wo die größten Herausforderungen liegen. Und die haben nicht mit der Arbeit selbst zu tun. Vielmehr fällt es ihnen schwer, Freunde (31 Prozent) und Anschluss an die lokale Kultur zu finden (27 Prozent). Auch der Mangel an sozialen Kontakten und Freizeitaktivitäten (20 Prozent) sind häufig Probleme. Unternehmen sollten diese Hürden im Blick haben. Wenn sie aktiv gegensteuern, stärkt das ihre Position als attraktiver Arbeitgeber. Weiterhin steigern sie damit die langfristige Mitarbeiterbindung qualifizierter, internationaler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ans Unternehmen.
Kannst Du konkrete Beispiele für effektive Integrationsmaßnahmen nennen, die Du in Deiner Praxis als besonders wirksam erlebt hast?
Es gibt viele Möglichkeiten, seine internationalen Fachkräfte bei einer erfolgreichen Integration zu unterstützen. Sehr hilfreich sind zum Beispiel sogenannte Buddy-Systems. Erfahrene Kollegen oder Kolleginnen unterstützen neue Mitarbeitende als erste Ansprechpartner. Sie stehen für alle beruflichen und privaten Fragen zur Verfügung. So haben neue Mitarbeitende sofort Kontakt und die Hemmschwelle, um Hilfe zu bitten, sinkt.
Auch interkulturelle Trainings sind ein erfolgreich erprobtes Mittel, sowohl für internationale Mitarbeitende als auch für bestehende Teams. Sie helfen, interkulturelle Unterschiede zu verstehen, potenzielle Missverständnisse zu vermeiden und eine offene und wertschätzende Atmosphäre zu schaffen.
Welche Herausforderungen siehst Du speziell für mittelständische Unternehmen beim Recruiting internationaler Fachkräfte und wie können Arbeitgeber sie bewältigen?
Viele Mittelständler erreichen international oft weniger Bekanntheit als Großkonzerne und zeigen seltener eine starke Online-Präsenz. Eine stärkere Präsenz auf internationalen Jobplattformen wie LinkedIn erhöht die Sichtbarkeit. Eine moderne Website und die Zusammenarbeit mit spezialisierten Recruiting-Agenturen helfen ebenfalls. So erreichen Mittelständler gezielt qualifizierte, internationale Bewerber.
Auch das Problem der häufig fehlenden spezialisierten HR-Ressourcen kann durch die Zusammenarbeit mit geeigneten externen Dienstleistern gelöst werden. Kleinere Unternehmen verfügen häufig nicht über die personellen Ressourcen, um aufwändige internationale Rekrutierungsprozesse in Eigenregie durchzuführen. Gute externe Partner können hier Abhilfe schaffen. Sie unterstützen auch bei den bürokratischen Herausforderungen und während des gesamten Integrationsprozesses der neuen internationalen Mitarbeiter.
Inwiefern kann eine gelungene Integration internationaler Mitarbeitender das gesamte Unternehmensklima positiv beeinflussen?
Die positiven Auswirkungen einer erfolgreichen Integration sind vielfältig. Zunächst einmal fördert sie die Diversität im Unternehmen, die über die kulturelle Vielfalt weit hinausgeht. Internationale Mitarbeitende bringen neue Perspektiven, Erfahrungen und Problemlösungsansätze ein. Sie können weiterhin die Kreativität und Innovationskraft ganzer Teams neu beleben. Studien zeigen, dass diverse Teams fast immer kreativer und leistungsfähiger sind als homogene. Weiterhin trägt eine gelungene Integration zu einem Klima der Offenheit und Toleranz bei. Die Belegschaft entwickelt ein größeres Verständnis für Unterschiede, zeigt mehr Wertschätzung und baut Vorurteile ab. Dadurch entsteht ein angenehmeres Arbeitsklima für das gesamte Team, das nicht selten Engagement, Motivation und Mitarbeiterbindung steigert.
Unternehmen, die sich aktiv um die Integration ihrer internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern, positionieren sich als attraktive Arbeitgeber. Sie können Top-Talente aus dem In- und Ausland somit langfristig leichter gewinnen.
Was steht als Nächstes für WTE Search auf dem Plan?
Der Fachkräftemangel trifft nicht nur die Berufsgruppen der IT-Experten und Ingenieure. Ganz besonders betrifft er die sogenannten „Blue Collar“ Berufsgruppen, also beispielsweise in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Deshalb erweitern wir unser Angebot seit Kurzem. Und zwar bieten wir inzwischen Recruiting und Relocation-Services von Pflegefachkräften aus Indien an. Zu diesem Zweck haben wir gerade eine Sprachschule in Mysore, Indien, eröffnet. Jeden Monat starten dort 100 Kandidatinnen und Kandidaten, die Deutsch lernen. Gleichzeitig bereiten wir sie praxisnah auf das Leben und Arbeiten in Deutschland vor. Inklusive Training an nachgebauten deutschen Krankenhausbetten und Einüben von Arbeitsabläufen.
Vielen Dank für die ausführlichen Insights, Fabian! Sie geben unseren Leserinnen und Lesern hoffentlich einige starke Werkzeuge an die Hand, damit sie auch in Zukunft wettbewerbsfähig sind.
Dieses Interview führte Dominik Bernauer:
Dominik Bernauer ist Berater, Autor, Blogger und Ghostwriter.
Sein Themenspektrum erstreckt sich über diverse Bereiche wie, Employer Branding, HR, New Work, Digitalisierung, Medien, Marketing und Technologie.
Dominik unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, sich in diesen komplexen Feldern zurechtzufinden und ihre Ziele zu erreichen.