oose, eine Genossenschaft im Besitz der Mitarbeitenden ohne Chef und Abteilungen

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Das Hamburger Trainings-Unternehmen oose begeistert Kunden im gesamten deutschsprachigen Raum. Das Unternehmen bietet Seminare, Workshops und Coachings zu Themen rund um Software- und Systementwicklung, New Work, Soft Skills, Projektmanagement und mehr.

Das Besondere: oose agiert seit 2014 als Genossenschaft. Als solche ist sie im Besitz der Mitarbeitenden und arbeitet selbstorganisiert; ohne Chefs und Abteilungen. Die Teams sind fach- und themenorientiert. Größere Themen werden in einem Plenum abgestimmt, in dem jedes Mitglied eine Stimme hat.

Als selbstorganisiertes Unternehmen hat oose auch das Gehalt neu gedacht. Es sollte nicht länger vom Verhandlungsgeschick einzelner abhängen und eine Gender-Pay-Gap ausschließen.

Wir wollten genauer wissen, wie das funktioniert und wie es dazu kam.

Stell Dich bitte kurz vor und beschreibe die Idee hinter Eurem Ansatz, das Gehalt neu zu denken.

oose, eine Genossenschaft im Besitz der Mitarbeitenden ohne Chef und Abteilungen | Manuel Papa

Hallo, ich bin Manuel und arbeite in den beiden Kreisen Marketing und People. Seit Januar 2021 bin ich dabei. Als Designer und Entwickler arbeite ich im Marketingkreis. In den letzten zehn Jahren durfte ich vom Kommunikationsdesigner für einen führenden Chiphersteller bis zum Art und Creative Director in einer Kreativagentur etliche spannende Projekte im Bereich Design umsetzen. Dabei kam ich immer wieder mit der Programmierung in Berührung, was mich völlig in den Bann des dunklen Terminals zog. 2020 machte ich dann eine Weiterbildung als Frontend-Developer. Hier bei oose darf ich nun meine Expertise als Designer einbringen und als Junior-Entwickler das nächste Level erreichen. Und das komplett remote – denn ich lebe in Köln – agile Methoden und modernste Software machen es möglich!

Als Unternehmen ohne Vorgesetzte mussten wir bei oose selbst einen neuen Weg beim Gehalt finden. Eine Aufgabe und damit verbundene Fragestellungen, die es in anderen Unternehmen kaum gibt. Bisher war unser Gehalt mehr oder weniger willkürlich und abhängig von Eintrittszeitpunkt und Verhandlungsgeschick. Das wollten wir komplett neu denken.

Fünf Personen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen – wir nennen sie unsere Gehaltsgruppe – kamen hierfür zusammen: zwei Trainerinnen und Beraterinnen für Soft Skills & Neue Arbeitswelten, eine Mitarbeiterin aus dem Bereich Vertrieb & Organisation, ein Kollege als Vorstand, ein ITler sowie einem Trainer und Berater für Softwarearchitektur.

oose, eine Genossenschaft im Besitz der Mitarbeitenden ohne Chef und Abteilungen

Aus welchem Bedarf heraus ist Eure Idee entstanden? Welches Problem löst Ihr mit Eurem Ansatz?

Das neue Gehaltsmodell sollte vor allem Ungerechtigkeiten auffangen. Egal, ob Unterschiede bei eigentlich gleicher Tätigkeit oder eine zu große Kluft insgesamt. Wir leben New Work und das soll sich auch im Gehaltsmodell widerspiegeln.
Unserem Grundgedanken entsprechen „gute“ Gehälter. Sie sollten uns als Angestellte und Eigentümer:innen von oose aber nicht in zu hohes Risiko führen.

Außerdem sollen sie keinen Druck erzeugen und auch weiterhin genug Raum für Innovation und persönliche Entwicklung lassen. Zusätzlich vereinfachen wir auf diese Weise das Einstellungsverfahren neuer Kolleg:innen.

Wer profitiert von der Lösung und warum?

Zunächst einmal können wir sagen, dass das Modell wirksam ist. Die Befreiung vom Verhandlungsgeschick konnten wir ebenso erreichen wie einen Gender-Pay-Gap vermeiden. Weiterhin können potenzielle neue Kolleg:innenschon vor ihrer Bewerbung auf unserer Website errechnen, was sie bei oose verdienen werden. Das erspart allen die lästige Frage nach dem Geld im persönlichen Gespräch.

oose, eine Genossenschaft im Besitz der Mitarbeitenden ohne Chef und Abteilungen | Oose Gehaltsrechner

Auch unsere Kunden profitieren von unserem Modell. Denn wir stehen ihnen damit gerne beratend zur Seite oder führen es direkt mit ihnen zusammen in ihrer Organisation ein. Dabei ist es hilfreich, den mühsamen Weg schon gegangen zu sein und nicht nur die Lösung, sondern auch den Weg dorthin aufzeigen zu können.

Dabei halfen und helfen die passenden Entscheidungsverfahren und deren Auswahl.

Wie genau funktioniert Eure Lösung?

Das Gehaltsmodell von oose umfasst sechs Komponenten:

  1. Solides Basisgehalt pro Rolle: Die Basisgehälter basieren auf einem Marktabgleich und der Selbsteinschätzung der Rollen. Sie werden regelmäßig angepasst.
    die Berufserfahrung vor und bei oose.
    Die aktuellen Parameter bewirken eine nicht riskante Dynamik und moderate Spreizung der Gehälter.
  2. Selbstbestimmter Anteil nach festgelegtem Prozess (optional): Der selbstbestimmte Anteil dient dem Ausgleich von Schieflagen und der Würdigung außergewöhnlicher Leistung.
  3. Inflationsausgleich: Wir berücksichtigen jedes Jahr eine Anpassung des Basisgehaltes über einen Inflationsausgleich. In besonderen Zeiten, wie aktuell werden wir kurzfristig auf neu eintretende Situationen reagieren.
  4. Gewinnausschüttung in Form von Einmalzahlungen:
    Die Gewinne der Genossenschaft werden an die Mitglieder ausgeschüttet. Die geringe jährliche Erhöhung soll zusätzlich durch hohe Einmalzahlungen, die vom Vorstand vorgeschlagen wird, ausgeglichen werden.
  5. Urlaub: Freie Zeit ist Teil der Vergütung. Mitarbeitende verfügen über 0,5 Urlaubstage mehr ab dem 31. Geburtstag – und das pro Lebensjahr. So hat beispielsweise eine 63-jährige Mitarbeiterin im Jahr 2023 insgesamt 46,5 Urlaubstage.

Gibt es bereits ähnliche Lösungen und was ist das Besondere an Eurer Lösung im Vergleich zu den anderen?

Unsere Lösung ist sehr individuell. Das macht es unwahrscheinlich, dass es viele ähnliche Lösungen gibt. Unsere Gehaltsgruppe hat Marktbegleiter:innen und deren Modelle begutachtet und hat auch unsere eigenen Modelle bis zurück in die Anfangszeit von oose nachvollzogen. Eine Lösung, die sofort auf unser Konstrukt anwendbar war, gab es nicht.

Das Team der Gehaltsgruppe ist heterogen zusammengesetzt, um unterschiedliche Bedürfnisse zu erfassen. Es hat circa sechs Monate an dem Modell gearbeitet. Es hat sich vom Plenum ein Mandat für einen konsultativen Gruppenentscheid geholt.

Mit dem Vorstand wurden verschiedene Gehaltserhöhungsoptionen in iterativem Vorgehen festgesetzt. Zwischenergebnisse wurden oose-weit geteilt und abgestimmt, Feedback sowie Stimmungsbilder eingeholt und mit Einzelpersonen gesprochen. Die Ergebnisse und Impulse wurden eingearbeitet, das fertige Modell im Plenum vorgestellt und schließlich eingeführt.

Welche Erfolge konntet Ihr mit der Genossenschaft bislang erzielen?

Viele Kolleg:innen sind sehr glücklich über die für sie höher ausgefallenen Gehälter. Andere wünschen sich in einigen Punkten noch eine genauere Ausformulierung und Regelung. Es wurden auch schon Ideen eingebracht, wie sich das Modell noch verbessern lassen könnte. Das war zu erwarten und auch gewünscht. Denn unser Modell soll nicht starr sein, sondern fluide an Situationen angepasst werden – natürlich immer in Absprache mit dem Plenum.

Was habt Ihr Neues gelernt, seitdem Ihr mit Eurer Lösung gestartet seid?

Es ist schwierig, ein Modell zu finden, dass auf jedes individuelle Bedürfnis eingeht. Es war wichtig, vorher die Ängste und Wünsche aller einzelnen zu erfragen und mitzuberücksichtigen. Entsprechend wichtig war es, Entscheidungen systemisch zu konsensieren: Also über eine Widerstandsabfrage einen Konsens zu finden.

Was sind Eure Pläne für die Zukunft?

Die Gehaltsgruppe gründet einen eigenen Kreis, der sowohl Retros als auch die Weiterentwicklung des Modells betreuen wird. Sie wird sich dazu regelmäßig treffen und die Marktentwicklungen im Auge behalten.
Das Plenum hat sich darauf commitet, dass es keinen unumstößlichen Zustand geben wird und das Modell fluide bleibt.

Vielen Dank für die spannenden Einsichten. Vielleicht fühlt sich ja das eine oder andere Unternehmen inspiriert, Eurem Beispiel zu folgen. In jedem Fall wünschen wir Euch auch weiterhin viel Erfolg.

Über Manuel Papa

Mit Mitte zwanzig habe ich mir auf einem Flohmarkt ein kaputtes Rennrad gekauft. Nach der ersten Reparatur entdeckte ich die Passion zum Herrichten alter Stahlrenner. Mittlerweile besitze ich etwa 14 Fahrradrahmen, sieben davon sind fahrbar und ein Ende des Sammelwahns ist trotz der Platznot nicht in Sicht.