„Refill with Skill“: Wie Evonik mutig neue Wege im Recruiting geht

Refill With Skill Evonik Cover

Während viele Unternehmen im Kampf um Fachkräfte nach außen blicken, richtet unser Queb Mitglied Evonik den Blick nach innen. Mit „Refill with Skill“ haben Tobias Müller und Janina Mendritzki ein Projekt ins Leben gerufen, das das interne Recruiting neu definiert. Im Gespräch erläutern die beiden, wie sie Mitarbeiter ermutigen, über den Tellerrand zu blicken. Und wie das Projekt Führungskräfte inspiriert, Potenziale jenseits von Lebensläufen zu erkennen. Ihr zeitgemäßer Ansatz zeigt einen simplen, aber konsequenten Weg, wie Unternehmen dem Fachkräftemangel mit Kreativität und Mut begegnen können.

Evonik hat das Projekt „Refill with Skill“ bei den Queb HR Innovation Awards 2024 eingereicht und es damit auf die Shortlist geschafft. Hier findest Du mehr Infos über die Bewerber, Shortlister und Gewinner der Queb HR Innovation Awards.

Wir wünschen Euch viel Spaß & Inspiration beim Interview!

Stellt Euch bitte kurz vor und beschreibt die Idee Eures Projektes, wie es entstanden ist und seit wann es „Refill with Skill“ (RWS) gibt!

JM: Ich bin Janina, 33 Jahre alt und seit ca. 3,5 Jahren bei Evonik als Senior Talent Acquisition Manager. Vorher war ich viele Jahre in einem großen Retail-Konzern in diversen HR-Rollen tätig. RWS gibt es erst seit September 2023 – wir feiern also demnächst den ersten Geburtstag. Wie die Idee entstanden ist, erzählt euch Tobi als Ideengeber bestimmt gerne.

TM: Ich bin Tobias, 40 Jahre alt und seit 3 Jahren bei Evonik. Ich bin hier Senior Talent Acquisition Manger. Ich mache seit 13 Jahren Recruiting und beschreibe mich gerne als Recruiting-Romantiker. Die Idee zu „Refill with Skill“ kam mir an einem Abend. Ich habe damals darüber nachgedacht, dass „wollen“ immer vor dem „können“ kommt. Ich wollte ein Event machen, in dem es um die Menschen geht und bei dem Hiring Manager ganz ohne Unterlagen jemanden kennenlernen können. Eben einfach feststellen, ob die „Chemie“ stimmt. Es sollte einfacher werden, dass die Menschen im Unternehmen zusammenkommen.

Welche konkreten Herausforderungen bei der Stellenbesetzung habt ihr vor der Einführung von „Refill with Skill“ gesehen?

JM: Sich intern weiterzuentwickeln ist für viele Mitarbeiter ein Wunsch, der sich jedoch leider viel zu selten erfüllt. Mitarbeiter sind abgeschreckt von langen Anforderungstexten und Führungskräfte nicht bereit, Mitarbeitern, eine Chance zu geben, sich abseits von Uni-Abschlüssen zu beweisen.

TM: Dazu glaube ich, dass in jeder großen Organisation die beiden Seiten des Recruitings sich nicht sehen. Bei vielen Personalmarketingmaßnahmen liegt der Fokus auf externen Hirings. Intern gibt es dann zumeist den Stellenmarkt, jedoch nicht viel mehr. Dadurch hatten wir auf einigen Stellen sehr wenige interne Kandidaten. Unsere Kandidaten übersehen häufig die spannenden Stellen, weil es viele Stellen gibt. Das geht uns ja im Recruiting manchmal selbst so, wir kennen auch nicht jede Stelle. Dazu kommen eben die Anforderungen, die meist auch aus der Historie heraus so gewachsen sind. Das kann auch für Mitarbeiter abschreckend wirken.

Beschreibt doch bitte kurz das Konzept von “Refill with Skill” – wie funktioniert das?

JM: Im Prinzip ist es ganz einfach: man nehme den Titel der Stelle, einen kurzen Satz, der diese zusammenfasst und platziert das Ganze prominent. Auf der anderen Seite können grundsätzlich an einer Veränderung interessierte Mitarbeiter ihre Hand heben und sich für diese Stelle melden – ganz ohne CV und Bewerbermanagementsystem. In einem unverbindlichen Speed-Date mit der Führungskraft können sich beide in maximal 15 Minuten kennenlernen und im Nachgang entscheiden, ob man sich weiter kennenlernen will und eine offizielle Bewerbung abgibt. Nebenbei schaffen wir noch diverse Möglichkeiten zum Netzwerken und Kennenlernen der verschiedenen Fachbereiche.

Wer profitiert alles von Eurer Lösung und warum?

JM: Von unserer Lösung profitieren alle – an Veränderung interessierte Mitarbeiter sowie Fachbereiche, die auf der Suche nach Verstärkung sind. Aber auch jeder andere Fachbereich, der sich für künftige Stellen oder den bloßen Austausch im Rahmen des Networkings vorstellen möchte. Und natürlich wir von TA (Talent Acquisition; Anmerkung der Redaktion), denn wir lernen in kurzer Zeit viele spannende, veränderungswillige Kollegen kennen und können so eine Pipeline aufbauen.

Ihr habt Euch bewusst gegen klassische Ausschreibungen mit langen Anforderungskatalogen entschieden. Was waren die Gründe dafür?

JM: In den allermeisten Fällen haben diese klassischen Ausschreibungen unsere Mitarbeiter eher davon abgehalten, sich zu bewerben. Aus Angst vor Ablehnung, da „man eh nicht alle Anforderungen erfüllt“ wurde meist erst gar keine Bewerbung abgeschickt. Außerdem wollten wir RWS ausreizen und so viel Innovation und Disruption des aktuellen Systems wie möglich reinbringen.

Gab es Vorbehalte oder Skepsis seitens der Führungskräfte gegenüber dem neuen Ansatz und wenn ja, wie seid Ihr damit umgegangen?

JM: Oh ja! Das haben wir aber auch gar nicht anders erwartet, ehrlicherweise.

TM: Wir sind offen damit umgegangen und haben Führungskräften das Konzept als eine Option zur Stellenbesetzung angeboten. Mit eben einem offenen Ausgang. Der Kostenaufwand war minimal und auch der zeitliche Horizont war begrenzt. Damit konnten wir durchaus überzeugen. Rückblickend muss man sagen, dass viele Führungskräfte sich dann auch auf das Konzept eingelassen haben.

Mit welchen Maßnahmen habt Ihr „Refill with Skill“ intern angekündigt und bekannt gemacht?

TM: Wir haben es lediglich über unser Intranet und über einen Newsletter angekündigt.

Auf welches Interesse ist „Refill with Skill“ bei Euren Mitarbeitenden gestoßen? Und könnt Ihr ein Beispiel nennen, wie das Konzept Mitarbeitern neue Perspektiven für ihre Weiterentwicklung aufgezeigt hat?

TM: Es hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Bereits nach einem halben Tag hatten wir über 40 Anmeldungen für das Format. Als wir nach zwei Wochen das Anmeldefenster geschlossen haben, waren es 157. Wir haben offen kommuniziert, dass es sich um eine Chance handelt, mit Führungskräften ins Gespräch zu kommen. Ich bin auch weiterhin der Meinung, dass sich Chancen da ergeben, wo Menschen zusammenkommen und etwas gemeinsam gestalten. So ergeben sich dann auch Perspektiven für jeden Einzelnen. In der Zusammenarbeit geht es am Ende um die Skills, nicht um Inhalte des Lebenslaufes. So sollte das Konzept auch die Menschen verbinden. Ich denke, das ist auch so passiert.

Welche Learnings und Anpassungen habt Ihr nach der ersten Runde von „Refill with Skill“ für die zweite Runde gezogen?

TM: Nach der ersten Runde gab es einige Optimierungen. Wir haben in der zweiten Runde mit den Kandidaten einen Teams-Hintergrund (für die Nutzung im Speed-Dating) erarbeitet, damit die Hiring Manager ein paar grundsätzliche Informationen zum Gesprächspartner haben – auch hier so simpel wie möglich und fokussiert auf die Skills, die der Mitarbeiter mitbringt. Wichtig war uns dabei, dass es sich um etwas handelt, das nicht im CV stehen würde. Darüber hinaus haben wir die Zeit der „Speeddatings“ auf 15 Minuten (10 Minuten in der ersten Runde) verlängert. Des Weiteren haben wir festgestellt, dass es Schulungsbedarfe in verschiedenen Bereichen wie CV-Erstellung oder Interpretation von Job Postings auf Mitarbeiterseite und die Führung von guten Interviews auf Führungskräfteseite gibt. Daher ist aktuell ein Workshop-Programm in der Mache – von uns Mitarbeitern von Talent Acquisition für alle anderen Mitarbeiter.

Könnt Ihr schon sagen, wie sich „Refill with Skill“ auf die Stellenbesetzungen bei Evonik auswirkt?

TM: Refill entwickelt sich gerade zu einem festen strategischen Bestandteil. Bevor die zweite Runde losging, haben uns Fachbereiche angefragt, ob sie teilnehmen können. Wir haben darüber hinaus natürlich einen ganz neuen Kandidaten-Pool aufgebaut, dem wir direkt Angebote zu neuen Stellen zukommen lassen können. Das ist für uns und unsere Mitarbeiter wirklich hilfreich.

Welche Pläne gibt es, „Refill with Skill“ bei Evonik weiterzuentwickeln und eventuell international auszurollen?

TM: Wir haben das Konzept bereits an die KollegInnen in Asien übergeben. Diese werden kleinere Änderungen vornehmen und es dann auch dort ausrollen. Mit den USA sind wir in einem guten Austausch, auch hier wird die Umsetzung ins Auge gefasst.

JM: Aber auch wir möchten das Konzept stetig weiterentwickeln. So werden etwa die Workshops eine Ergänzung sein und wir wollen prüfen, ob es Sinn ergibt, gegebenenfalls nur eine bestimmte Zielgruppe pro Refill with Skill anzusprechen.  

Abschließend: Welche Botschaft möchtet Ihr anderen Unternehmen mit auf den Weg geben, die einen ähnlichen Ansatz wie „Refill with Skill“ verfolgen wollen?

TM: Refill ist eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ich glaube, dass wir viele versteckte Skills in unseren Unternehmen haben. Wir müssen diese nur entdecken. Das geht ausschließlich über zwischenmenschliche Kommunikation. Die Menschen müssen zusammenkommen, darum geht es.

JM: Traut euch, seid mutig und nehmt doch mal etwas aus dem Prozess raus (wie hier die CVs oder Ausschreibungen), als etwas hinzuzufügen.

Dieses Interview führte Dominik Bernauer

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Dominik Bernauer ist Berater, Autor, Blogger und Ghostwriter. Sein Themenspektrum erstreckt sich über diverse Bereiche wie, Employer Branding, HR, New Work, Digitalisierung, Medien, Marketing und Technologie. Seit mehr als 15 Jahren unterstützt Dominik Unternehmen und Organisationen dabei, sich in diesen komplexen Themenfeldern zurechtzufinden und ihre Ziele zu erreichen.

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Was ist „Refill with Skill“?

„Refill with Skill“ ist ein innovatives internes Recruiting-Programm von Evonik, das es Mitarbeitern ermöglicht, sich ohne formale Bewerbungsunterlagen wie Lebensläufe für neue Positionen innerhalb des Unternehmens zu bewerben. Das Programm setzt auf persönliche Gespräche, um die Passung zwischen Kandidaten und offenen Stellen zu beurteilen.

Was ist der Queb HR Innovation Award?

Der Queb HR Innovation Award ist eine Auszeichnung, die von Queb, dem Bundesverband für Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting, vergeben wird. Der Award würdigt innovative HR-Projekte, die neue Wege im Recruiting, Talent Management oder Employer Branding beschreiten.

Was bedeutet Talent Acquisition (TA) im Recruiting?

Talent Acquisition (TA) im Recruiting bezeichnet den strategischen Prozess, durch den Unternehmen qualifizierte Fachkräfte gewinnen, die langfristig zum Unternehmenserfolg beitragen. TA umfasst mehr als nur die Besetzung von Stellen; es konzentriert sich darauf, die richtigen Talente zu identifizieren, zu gewinnen und im Unternehmen zu halten.