The Great Transformation: Tijen Onaran über mutige Führung in herausfordernden Zeiten

Tijen Onaran zählt zu den einflussreichsten Stimmen der deutschen Wirtschaft, wenn es um Diversität, Sichtbarkeit und Digitalisierung geht. Die Unternehmerin, Investorin, Bestseller-Autorin und Gründerin von Global Digital Women sowie der Diversity-Beratung ACI prägt mit ihrem Engagement die Debatte um Female Empowerment und Diversity. Weiterhin unterstützt sie mit ihren Initiativen und als Investorin gezielt Frauen und vielfältige Talente auf ihrem Weg in die Sichtbarkeit und Führung. Bekannt ist sie auch aus der VOX-Show „Die Höhle der Löwen“ und als Autorin mehrerer Bestseller rund um Netzwerken, Personal Branding und Mut. Am 22.10.2025 erscheint ihr neues Buch: „Nur wer’s richtig sagt, kommt ans Ziel“.

Im Rahmen des Forums des Queb – Bundesverband für Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting e. V. – hat Tijen Onaran ihren Vortrag „The Great Transformation: Warum Mut unsere wichtigste Ressource wird“ gehalten.

Darin zeigte sie, warum Mut heute für Führungskräfte und Unternehmen entscheidender denn je ist, wie er Organisationen und Menschen voranbringen kann und welche Rolle Sichtbarkeit und klare Kommunikation dabei spielen.

Im Anschluss an ihren Vortrag hatte ich die Gelegenheit, mit Tijen über die Bedeutung von Mut im Alltag, die Herausforderungen der Arbeitswelt und ihre persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Für das Interview haben wir uns auf das „du“ geeinigt.

The Great Transformation: Tijen Onaran über mutige Führung in herausfordernden Zeiten | Interview | Queb Bundesverband für Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting e. V.

Dominik:
Tijen, in deinem Vortrag bei Queb ging es um Mut. Was bedeutet Mut für dich ganz konkret im Alltag?

Tijen:
Mut bedeutet für mich, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und sie auch konsequent umzusetzen. Es geht nicht nur darum, eine Haltung zu haben, sondern sie in Handlungen zu übersetzen. Für mich bedeutet das oft, meine eigenen Grenzen zu überschreiten, mich herauszufordern – ja, manchmal sogar zu überfordern.

Ein Beispiel: Als ich vor drei Jahren angefangen habe, in Start-ups zu investieren, hatte ich keinen Investment-Background. In Meetings war ich oft die einzige Frau. Noch dazu mit einer Migrationsgeschichte und ohne Abschluss einer elitären Universität. Ich habe die unbekannten Begriffe gegoogelt – heimlich auf der Toilette. Und trotz der Herausforderungen weitergemacht. Es hat mich viel Mut gekostet, trotzdem als Business Angel aktiv zu werden und dann noch stärker in die Sichtbarkeit zu gehen. Und je sichtbarer du wirst, desto mehr Gegenwind bekommst du. Eine Freundin, die Pilotin ist, hat mir mal gesagt, dass sie beim Start keinen Rückenwind braucht. Damit die Maschine abheben kann, braucht sie Gegenwind. Das Bild finde ich sehr passend für das Thema Mut.

Dominik:
Du hast von der „Great Transformation“ gesprochen, mit der sich die meisten Arbeitgeber dieser Tage beschäftigen müssen. Was ist aus deiner Sicht die größte Veränderung, vor der wir im Arbeitsleben aktuell stehen?

Tijen:
Also zum einen ist es eine große Veränderung, dass wir immer mehr Menschen auf dem Arbeitsmarkt haben, die ganz unterschiedliche Wünsche an ihren Arbeitgeber haben. Einerseits haben wir den Pool an Talenten, der jetzt in die Unternehmen hineinströmt. Aber das ist ja keine homogene Masse, sondern es sind untereinander verschiedene Generationen, die da kommen. Und jede der einzelnen Generationen hat unterschiedlichste Wünsche an den Arbeitgeber. Das heißt, wir als Gesellschaft sind vielfältig und das impliziert die Vielfalt für die wir als Arbeitgeber auch Antworten finden müssen. Das ist Punkt eins und sehr herausfordernd.

Punkt zwei ist, dass wir in einer Welt leben, die uns immer wieder emotional herausfordert. Pandemie, Krieg, Weltlage, politische Veränderungen etc. Und das führt dazu, dass wir – ich habe es vorhin kurz in meinem Vortrag gesagt – eigentlich eher mehr kommunizieren müssen als weniger. Wir müssen in den Unternehmen viel mehr Kommunikationsräume dahingehend schaffen, dass Menschen sich auch aufgefangen fühlen mit ihren Ängsten, mit ihren Sorgen, mit ihren Nöten, nicht das Gefühl haben, dass sie mit ihrem Bauchschmerz allein sind. Im Grunde müssen Arbeitgeber noch viel mehr Orientierung bieten als bislang. Während dieser aktuell hoch transformativen Phase haben diese beiden Punkte in meinen Augen den größten Einfluss auf die Veränderungen unserer Arbeitswelt. Unternehmen müssen dafür mutige Entscheidungen treffen, während das Budget oft knapp ist.

Dominik:
Wie schaffen es Unternehmen, mutige Entscheidungen zu treffen, insbesondere wenn Budgets knapp sind und Unsicherheit herrscht?

Tijen:
Ich glaube, wenn Budgets knapp sind – und das ist ja fast immer der Fall – dann hilft es enorm, sich mit anderen zusammenzutun. Koalitionen zu bilden und gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Das entlastet alle Beteiligten und schafft oft sogar mehr Wirkung. Ich bin ein großer Fan davon, in solchen Situationen nicht noch komplexer zu denken. Im Gegenteil: Einfachheit kann eine echte Stärke sein. Man braucht nicht das teure Catering oder die fancy Ausstattung. Die Leute kommen wegen der Inhalte und wegen der Menschen. Außerdem ist jetzt der Moment, Dinge anders zu machen. Wir sagen so oft: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Ich finde, gerade jetzt sollten wir besser sagen: „Das haben wir noch nie so gemacht – also los!“ Diese Haltung kann unglaublich viel Kreativität freisetzen.

Dominik:
Wir haben darüber gesprochen, was Mut für dich persönlich bedeutet. In deinem Vortrag bist du zudem darauf eingegangen, warum Mut eine wichtige Eigenschaft für Führungskräfte ist. Würdest du unseren Leserinnen und Lesern bitte erläutern, welche Rolle Mut deiner Meinung nach in der Führung spielt und warum er für Führungskräfte so essenziell ist?

Tijen:
Für Führungskräfte bedeutet Mut, immer einen Schritt voraus zu sein. Es heißt, Situationen sorgfältig durchdacht zu haben, um dann einen guten und tragfähigen Weg einschlagen zu können. Mut setzt außerdem eine klare innere Haltung voraus. Das bedeutet, zunächst bei sich selbst für Ordnung und Klarheit zu sorgen, bevor man dies von anderen erwartet. Das gilt meiner Ansicht nach generell im Leben, ist aber für Führungskräfte besonders essenziell.

Wenn ich als Führungskraft nicht genau weiß, was ich eigentlich erreichen will – wie soll ich dann meinem Team Orientierung geben? Klarheit ist dabei die Schwester des Mutes. Viele tun sich jedoch gerade damit sehr schwer.

Dominik:
Hast du einen praktischen Tipp für Führungskräfte, wie sie mehr Klarheit und Mut in ihren Führungsalltag integrieren können? Wie gelingt es, diese Eigenschaften nicht als zusätzliche Belastung, sondern als echten Mehrwert für sich selbst und das Team zu sehen?

Tijen:
Ich denke, es hilft, wenn Führungskräfte Klarheit und Mut nicht als zusätzliche Belastung oder als „Add-on“ sehen, sondern als etwas, das ihren Job tatsächlich erleichtert und bereichert. Wenn ich als Führungskraft mutig bin, wirkt sich das positiv auf die ganze Organisation aus. Denn Mut steckt an. Wer den Mut hat, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen und den Status quo zu hinterfragen, wird dafür oft belohnt, weil dadurch echte Veränderungen möglich werden. Führungskräfte sollten sich also bewusst machen: Mut und Klarheit machen das eigene Arbeitsleben letztlich einfacher und erfolgreicher.

Dominik:
Gab es in deiner eigenen Laufbahn einen Moment, in dem du besonders mutig sein musstest – und was hast du aus dieser Situation mitgenommen?

Tijen:
Ich habe für mich gelernt, dass ich mutig sein kann. In Momenten, in denen ich an mir selbst zweifle, erinnere ich mich bewusst an diese Erfahrungen, in denen ich bereits Mut bewiesen habe – das gibt mir Zuversicht. So habe ich zum Beispiel angefangen, in Start-ups zu investieren, obwohl ich zunächst keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet hatte. Ich habe mir das nötige Wissen angeeignet und dabei auch Unterstützung von Expertinnen und Experten in Anspruch genommen.

Diese Erfahrungen zeigen mir: Wenn ich einmal einen „Mut-Moment“ gemeistert habe, kann ich daraus eine Art Blaupause für andere Situationen entwickeln. Das stärkt mein Mindset und hilft mir, auch in neuen, herausfordernden Situationen mutig zu bleiben. Es ist ein wenig, wie beim Überwinden einer Angst: Wenn man einmal vom Zehner gesprungen ist, weiß man, dass man es schaffen kann. Man kann sich anschließend zu Recht fragen, ob man sich das noch geben will. Aber man weiß zumindest, wie es geht und dass man dazu in der Lage ist.

Dominik:
Da würde ich gerne eine Nachfrage stellen, die du nicht beantworten musst, weil sie persönlich ist: Hat das bei dir immer funktioniert? Denn aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man ja dann trotzdem nochmal ins Straucheln kommen kann.

Tijen:
Ja, es kommt tatsächlich immer wieder vor, dass ich bei neuen Herausforderungen das Gefühl habe, wieder ganz von vorne anfangen zu müssen. Das ist ganz normal. Denn wenn man sich auf unbekanntes Terrain begibt oder etwas Neues lernt, kann das Gehirn zwar auf bereits gemachte Erfahrungen und Routinen zurückgreifen. Trotzdem fühlt es sich oft so an, als könne man diese nicht eins zu eins auf die neue Situation übertragen. Das gehört einfach zu diesem Entwicklungsprozess dazu.

Für mich ist dabei besonders wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen. Genau darum geht es auch beim Thema Resilienz, über das ich in meinem Vortrag gesprochen habe: Es kommt darauf an, sich immer wieder der eigenen Kraft und Widerstandsfähigkeit bewusst zu werden und daraus neue Motivation zu schöpfen.

Dominik:
Was würdest du dir wünschen, dass die Menschen heute aus deinem Vortrag mitnehmen?

Tijen:
Ich wünsche mir, dass die Menschen aus meinem Vortrag vor allem die Lust auf echtes Machertum mitnehmen. Also den Mut, Dinge wirklich anzupacken. Außerdem hoffe ich, dass sie neue Freude daran finden, sichtbar zu sein, sich zu zeigen und klar zu kommunizieren. Sowohl intern, etwa in ihren Teams, als auch nach außen. Wenn mir das gelungen ist, freue ich mich sehr. Gerade in der heutigen Zeit brauchen wir mehr denn je diese positiven Narrative und Impulse.

Dominik:

Danke, Tijen, für das offene Gespräch und die vielen Denkanstöße rund um Mut, Sichtbarkeit und Leadership. Deine Impulse werden hoffentlich viele Leserinnen und Leser dazu inspirieren, mutiger zu handeln.


Dieses Interview führte:

Dominik Bernauer

Dominik Bernauer ist Berater, Autor, Blogger und Ghostwriter.
Sein Themenspektrum erstreckt sich über diverse Bereiche wie, Employer Branding, HR, New Work, Digitalisierung, Medien, Marketing und Technologie.
Dominik unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, sich in diesen komplexen Feldern zurechtzufinden und ihre Ziele zu erreichen.

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