Viasto – Videointerviews für die Personalauswahl. Interview mit Martin Becker

Die Kommunikation via Video liegt im Employer Branding und Recruiting derzeit durchaus im Trend. Erst kürzlich haben wir hier im Blog über das Social Media Portal Tibuga berichtet, das seinen Bewerbern, neben vielen anderen Features, eine Möglichkeit bietet sich mit einem Bewerbungsvideo vorzustellen.Viasto - Videointerviews für die Personalauswahl. Interview mit Martin Becker

Das Startup Viasto hat sich auf das Angebot von zeitversetzten Videointerviews für die Personalauswahl sogar spezialisiert.

Wir haben mit dem Gründer des Unternehmens Martin Becker darüber gesprochen, was genau Viasto macht, wie der Service Funktioniert und wie die Zukunft von Bewerbungsgesprächen aussieht.

Queb: Was genau macht viasto und seit wann gibt es den Service? 

viasto ist eine Ausgründung der Freien Universität Berlin und wurde 2010 gegründet. Wir haben eine webbasierte HR-Software entwickelt mit der Unternehmen Videointerviews mit ihren Bewerbern zeitversetzt durchführen können. Anders als bei Videokonferenzen ist bei einem zeitversetzten Videointerview die Aufnahme des Interviews durch den Bewerber unabhängig vom Personaler.

Queb: Wie hat alles angefangen? Wie ist die Idee mit den zeitversetzten Videointerviews entstanden? 

Als ich bei meinem früheren Arbeitgeber selbst entscheiden durfte, welche Bewerber zu persönlichen Gesprächen eingeladen werden sollten, wurde mir bewusst, wie schwierig es ist, ohne einen persönlichen Eindruck zu beurteilen, welcher Kandidat der Richtige für die ausgeschriebene Stelle sein könnte. Ich dachte, es muss doch einen Weg geben, schon frühzeitig im Prozess herauszufinden, ob dieser Kandidat von seinen Kompetenzen her passt. Dann habe ich mich zurückerinnert; schon während meines Studiums konnte ich damals live miterleben, wie teilweise wirklich guten Bewerbern abgesagt wurde, und gleichzeitig eine Reihe von ungeeigneten Kandidaten zu kostspieligen Auswahlverfahren wie beispielsweise Assessment Centern eingeladen wurden. Aus dieser Kombination aus Erfahrung als Bewerber und Führungskraft ist letztlich die Idee zu einem Online-Tool für zeitversetzte Videointerviews entstanden.

Queb: Wo liegen die Vorteile für Unternehmen? Wie setzen Unternehmen zeitversetzte Videointerviews ein? 

Unsere Kunden kommen mit den unterschiedlichsten Zielsetzungen zu uns. Wir haben Kunden, die ihre Fachkräfte zunehmend außerhalb Deutschlands suchen und dafür ein effizientes Recruiting-Tool suchen, weil sie keine Möglichkeit haben jeden Kandidaten persönlich zu treffen. Mit zeitversetzten Videointerviews können sie innerhalb kürzester Zeit äußerst ressourcenschonend erste Eindrücke von den Fähigkeiten ihrer Bewerber gewinnen, egal wo und in welcher Zeitzone diese sich gerade befinden.

Andere Kunden wiederum wollen mit dem Einsatz zeitversetzter Videointerviews ihren Bewerberauswahlprozess effizienter gestalten und die Produktivität erhöhen. Dafür nutzen die meisten unserer Kunden unser Tool überwiegend als Vorauswahlschritt nach dem CV-Screening und vor einem persönlichen Gespräch oder Assessment Center, um besser und effizienter beurteilen zu können, welche Bewerber zum Gespräch eingeladen werden sollen.


Wo liegen die Vorteile für Bewerber?
 

Bewerber können sich und ihr Können mit Hilfe der Videointerviews schon früh dem Unternehmen vorstellen. Und zwar wirklich authentisch und persönlich. Das heißt, hier hat der Bewerber frühzeitig die Chance über seine Bewerbungsunterlagen hinaus zu punkten und zu absoluten fairen Bedingungen, denn jeder Bewerber durchläuft genau den gleichen Videointerviewprozess. Unternehmen nutzen unsere interview suite auch zunehmend als Employer Branding Tool: So nehmen Fachentscheider kurze Begrüßungsvideos auf, welche den Bewerbern dann vor dem Videointerview angezeigt werden. So bekommt auch der Bewerber schon sehr früh in dem Prozess einen Eindruck davon, mit wem er oder sie zukünftig arbeiten wird.

Queb: Wie genau ist der Ablauf für Unternehmen und Bewerber und welche technischen Voraussetzungen müssen auf beiden Seiten erfüllt sein? 

Um die interview suite zu nutzen, benötigen Recruiter eine Internetverbindung und einen Computer. Der Bewerber benötigt zusätzlich noch eine Webcam, die bei den meisten Computern mittlerweile standardmäßig integriert ist.

Der Ablauf ist einfach. Der Personaler gibt in unsere Software einige Fragen ein, definiert wie viel Zeit der Bewerber für die Verbreitung und Beantwortung der Frage erhält, legt fest nach welchen Kriterien der Kandidat bewertet wird und wer bewerten darf. Nach etwas Übung dauert das nicht mehr als drei Minuten. Anschließend werden alle Kandidaten über die Software eingeladen. Die Bewerber erhalten nun per Email ihre persönliche Einladung zum Videointerview und können selbst entscheiden, an welchem Tag sie das Videointerview machen wollen. Währenddessen sehen sie die Fragen und können diese dann in einer kurzen Präsentation über ihre Webcam beantworten. Der Personaler oder die Fachentscheider können dann kriterienorientiert bewerten und auf Basis dieser Bewertungen besser entscheiden, welcher Kandidat in den nächsten Auswalschritt kommt.

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Queb: Im Team von viasto sind einige Personen mit dem Thema “Forschung” beschäftigt. An was genau forscht viasto und mit welchen Ergebnissen?  

Zum einen untersucht unser Forschungsteam, wie die Bewerber eine solch innovative Recruiting-Methode wahrnehmen, was sie von Bewerbungsverfahren erwarten und welche Faktoren die Bewerberakzeptanz beeinflussen. Der Bewerber wünscht sich, zu seinen persönlichen Unterlagen Stellung nehmen und sich darüber hinaus authentisch und individuell präsentieren zu können. Gleichzeitig möchte er an einem fairen Prozess teilnehmen und zeitlich flexibel sein. Es hat sich ebenfalls herausgestellt, wie sich der Einsatz von zeitversetzten Videointerviews auf das Employer Branding auswirkt. Unternehmen, die die Methode der zeitversetzten Videointerviews zur Personalrekrutierung einsetzen, werden von Bewerbern als besonders international, erfolgreich und innovativ wahrgenommen. Gleichzeitig beurteilen Bewerber die Methode der zeitversetzten Videointerviews u.a. als zeitsparend, authentisch und effektiv. Diese Studien konnten ebenfalls zeigen, dass die Bewerberakzeptanz nicht von allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen, wie z.B. von der Sicherheit Umgang mit Computern (die sogenannte „computer self efficacy“) oder vom Alter bzw. Geschlecht der Bewerber abhängt. Und schlussendlich haben wir auch evaluiert, unter welchen Voraussetzungen zeitversetzte Videointerviews bei Bewerbern nicht gut ankommen; wenn das Unternehmen den Prozess nicht klar und transparent kommuniziert. Das haben zeitversetzte Videointerviews mit allen anderen Auswahlmethoden gemeinsam.

Andere Forschungsschwerpunkte bestehen zur Zuverlässigkeit (Validität) von zeitversetzen Videointerviews sowie zur Evaluierungsqualität (Reliabilität) – dazu werden wir in den nächsten Monaten weitere Studienergebnisse veröffentlichen.

Queb: Gibt es bereits Feedback von Bewerbern zu den Möglichkeiten der zeitversetzten Videointerviews? 

Natürlich, allerdings meist nicht direkt von den Bewerbern sondern durch unsere Kunden. Bei denjenigen, die ihre Bewerber gut vorab informieren, ist die Resonanz durchweg positiv. Der Bewerber von heute will mit seiner Persönlichkeit, seiner Erfahrung und Kompetenz punkten und an fairen Verfahren teilnehmen. Daher sind Kandidaten am Ende von der Möglichkeit angetan sich beim potenziellen Arbeitgeber zu präsentieren und nutzen die Chance. Vereinzelt gibt es auch Bewerber, die erst einmal etwas skeptisch sind. Wer schaut sich das an? Welche Fragen werden mir gestellt? Da ist es wichtig, die Bewerber gut abzuholen und sie im Vorfeld zu informieren.

Queb: Wie seht ihr die Zukunft von Interviews? Werden in Zukunft alle Gespräche nur noch virtuell geführt? Was für eine Entwicklung seht ihr hier?

Zeitversetzte Videointerviews werden in Zukunft aus dem Recruiting nicht mehr wegzudenken sein. Wir werden sehen, dass sich die Methode in den nächsten Jahren auch in Deutschland weiter etablieren wird. Videointerviews werden vom derzeitig hauptsächlichen Einsatzfeld in der Young-Professionals Rekrutierung weiter die Hierarchieebenen heraufwandern. Leider muss man sagen, dass nicht nur die USA sondern auch Asien und andere europäische Länder den Deutschen hier wieder einmal etwas voraus sind. Insgesamt werden sich Videointerviews nicht nur wegen der ökonomischen Realitäten sondern auch wegen positiven Employer Branding Effekten und des immer internationaler werdenden Arbeitsmarkes mittelfristig durchsetzen. Um Joachim Diercks zu zitieren „zeitversetzte Videointerviews sind sinnlogisch die nächste Evolutionsstufe des eRecruitings“.

Queb: Wir bedanken uns für das Interview und werden beobachten, wie sich Videointerviews in der Personalauswahl weiter entwickeln!