Joblinge gegen Jugendarbeitslosigkeit – Ein Interview mit Ulrike Garanin

 31. März 2014

Joblinge gegen Jugenabrbeitslosigkeit - Ein Interview mit Ulrike GaraninUlrike Garanin ist Principal bei der Boston Consulting Group und Vorstand der Dachorganisation von Joblinge e.V. Das Thema Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt viele Unternehmen (z.B. Ausbildungsinitiative Rheinland von Bayer und Lanxess, Einstiegsqualifikation der Telekom oder der Verein HAZ). Bei der Initiative JOBLINGE engagieren sich bundesweit und branchenübergreifend Unternehmen gemeinsam mit Staat und Zivilgesellschaft, um Jugendlichen neue Perspektiven zu schaffen.

Wir haben mit Ulrike Garanin über die Hintergründe, die Entwicklung und die Zukunft des Vereins sowie dessen Bedeutung für Unternehmen gesprochen:

Hallo Frau Garanin, wir freuen uns, dass Sie sich die Zeit für ein Interview nehmen! Erklären Sie unseren Lesern doch bitte kurz was JOBLINGE ist und wie die Idee entstand!

Bei der gemeinnützigen Initiative JOBLINGE engagieren sich Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft gemeinsam gegen Jugendarbeitslosigkeit. Junge Menschen mit sehr schwierigen Startbedingungen erhalten die Chance, ihre Fähigkeiten in der Praxis zu beweisen – unabhängig von Schulnoten und klassischen Bewerbungsgesprächen. Ins Leben gerufen wurde die Initiative 2007 von der Boston Consulting Group und der Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG ausgehend von dem gemeinsamen Verständnis, über unternehmerische Verantwortung nicht nur zu reden, sondern wirklich etwas zu bewegen. Als das Bayerische Kultusministerium zeitgleich mit der Frage auf uns zukam, wie geringqualifizierte Jugendliche besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können, war die konkrete Idee geboren.

 

Welche Personen können am JOBLINGE-Programm teilnehmen?

JOBLINGE unterstützt junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die arbeitslos oder arbeitssuchend sind und in enger Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern zu uns kommen. Viele der Teilnehmer sind um die 20 Jahre alt und haben bereits mehrere Jahre in Maßnahmen des sogenannten Übergangssystems verbracht, mehr als die Hälfte lebt in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften.

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Aus welchen Bestandteilen besteht das JOBLINGE-Programm und durch was zeichnen sich diese einzelnen Phasen aus?

Das intensive, sechsmonatige Vollzeitprogramm umfasst vier Phasen mit Praxis von Tag 1 an. In der Aufnahmephase laden wir die Jugendlichen ein, gemeinsam mit unseren Mitarbeitern für 3 bis 4 Tage gemeinnützige Projektarbeit zu leisten, zum Beispiel im Tierpark oder Kinderheim. Hier geht es nicht etwa darum, die „Besten“ auszuwählen – wir wenden uns ganz bewusst mit dem Programm an die wirklich Hilfsbedürftigen – , sondern darum, bei den Jugendlichen die richtige Einstellung und Motivation zu erzeugen. Statt Zwangszuweisung geht der Teilnahme an JOBLINGE eine bewusste Entscheidung voraus. Mehr noch – etwas, das man sich erarbeiten muss, erhält in den Augen der Teilnehmer einen ganz anderen Wert. Darüber hinaus findet hier der erste Perspektivwechsel statt: die Teilnehmer werden vom Hilfsempfänger zum Beitragleister und sind stolz darauf,  mit ihrem Einsatz die Aufnahme zum „Jobling“ geschafft zu haben. In der Orientierungsphase erlernen die Teilnehmer über unternehmerische und kreative Praxisprojekte wichtige soziale und berufliche Kompetenzen und identifizieren gemeinsam mit den hauptamtlichen JOBLINGE-Mitarbeitern ihre Stärken und passende Berufe. Nach zwei Monaten geht es in die Qualifizierungspraktika, in denen die Joblinge Praxiserfahrung in Partnerunternehmen sammeln. Am Ende des Programms stehen das Bewerbungspraktikum und der Ausbildungsplatz.

 

Ist den Joblingen am Ende des Programms ein Ausbildungsplatz garantiert? Wie geht es dann weiter?

Während die Qualifizierungspraktika dazu dienen, die identifizierten Berufsfelder und den Arbeitsalltag kennenzulernen, bietet das Bewerbungspraktikum den greifbaren Ausbildungs- oder Arbeitsplatz bei dem Unternehmen. Die Teilnehmer können sich ihre Ausbildung aus eigener Kraft „erarbeiten“. Im gemeinsamen Engagement aller Beteiligten werden Vermittlungsquoten in den ersten Arbeitsmarkt erreicht, die mit mehr als 65 % weit überdurchschnittlich sind. Genauso wichtig wie die bestmögliche Qualifizierung und Vermittlung ist uns die Nachhaltigkeit, Jobling und Unternehmen sollen langfristig zueinander passen. Im Rahmen der Nachbetreuung steht ein JOBLINGE-Mitarbeiter den Jugendlichen und Unternehmen bis zum Ende der Ausbildung als Ansprechpartner zur Verfügung, unterstützt bei ggf. auftretenden Schwierigkeiten und bietet Plattformen des Austauschs sowohl für Alumni als auch Ausbilder.

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Welche Rolle spielt der Mentor für die Erfolge?

Jeder Teilnehmer wird auf seinem Weg in den Arbeitsmarkt von einem ehrenamtlichen Mentor begleitet, der „seinen“ Jobling während der gesamten sechs Monate 1:1 unterstützt. Der Mentor bringt Berufs- und Lebenserfahrung mit, ist Vorbild, motiviert und ermutigt, gibt Rat, hört zu. Für viele der Jugendlichen ist dies eine völlig neue Erfahrung – jemanden zu haben, der nur für ihn „da“ ist – der ihn ernst nimmt und auch parteiisch sein darf.

 

Arbeit ist bekanntlich nur das halbe Leben. Wie werden die jungen Menschen dabei unterstützt, ihre Persönlichkeit zu stärken und ihre eigenen Talente zu entdecken?

 Unser wichtigstes Ziel ist, den Jugendlichen über Arbeit ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und aus ihnen aktive Mitglieder der Gesellschaft zu machen. Viele der Jugendlichen haben nie Bestätigung erfahren, kaum Selbstvertrauen und sich oft bereits selbst aufgegeben. Über das Erreichen vieler kleiner Ziele und ehrliche Anerkennung möchten wir das Selbstbewusstsein der jungen Menschen stärken. Ein wichtiges Element hierbei unser Kultur- und Sportprogramm, bei dem die Teilnehmer lernen, sich auf Neues einzulassen und ihre eigenen Grenzen überwinden. Wer beispielsweise im Museum vor Publikum einen freien Vortrag über ein Kunstwerk gehalten hat, „präsentiert sich“ auch im Unternehmen mit einem ganz anderen Auftreten.

 

Warum ist die Förderung dieser Jugendlichen in Ihren Augen so wichtig?

Unsere Zielgruppe profitiert weder von guter Konjunktur und Fachkräftemangel noch dem demografischen Wandel. Trotz zahlreicher unbesetzter Lehrstellen finden sie keinen Job. Als Gesellschaft können wir es uns nicht leisten, die jungen Menschen zurückzulassen, in persönlicher Verantwortung für jeden einzelnen von ihnen und auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Im gemeinsamen Engagement von Unternehmen, öffentlicher Hand und Zivilgesellschaft können wir das Netzwerk bilden, das den Jugendlichen fehlt.

 

Welche Möglichkeiten gibt es, die Initiative zu unterstützen?

JOBLINGE bietet viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. Unternehmen können Praktikums- und Ausbildungsplätze stellen, Stipendien für die Jugendlichen finanzieren, als Aktionär an einem lokalen Standort mitwirken oder mit ihrer Förderung die Entwicklung der Gesamtinitiative unterstützen. Privatpersonen können sich als Mentor oder Trainer für die Jugendlichen einbringen oder mit ihrer Expertise z.B. in den Bereichen IT, Rechtsberatung oder Veranstaltungsorganisation einen wertvollen Beitrag leisten.

 

Wie profitieren Unternehmen und Mitarbeiter von einem Engagement bei JOBLINGE?

Unternehmen können einerseits dem Fachkräftemangel entgegenwirken, andererseits ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und ihren Mitarbeitern Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements schaffen. Zahlreiche Mitarbeiter von Partnerunternehmen unterstützen als Mentor einen Jobling – einige größere Partner haben das Mentoring sogar als Wahlmodul in ihre Personalentwicklungsprogramme integriert. Die 1:1 Betreuung schult das Erkennen von Stärken, die Fähigkeit zu motivieren und das Führen von Feedbackgesprächen. Gleichzeitig wird immer wieder von den Mentoren bestätigt, wie sehr sie von ihrem Jobling und aus der Zusammenarbeit lernen, die eigene Persönlichkeit reflektieren. Die Mentoren werden in einem intensiven Training auf ihre Aufgabe vorbereitet und erhalten Unterstützung von den pädagogischen Mitarbeitern, beispielsweise in regelmäßigen Meilensteingesprächen mit dem Tandem.  Über eine professionelle Organisation und die hauptamtlichen Mitarbeiter als feste Ansprechpartner für Unternehmen und Mentoren möchten wir für alle Engagierten eine „Win-win-Situation“ sicherstellen.

 

Seit unserem letzten Beitrag über JOBLINGE in 2012 ist die Initiative von sechs auf zehn Standorte in Deutschland angewachsen. Was hat sich sonst noch verändert?

Mit dem Wachstum der Standorte ist auch die Zahl der festangestellten Mitarbeiter an den Standorten und der überregionalen Dachorganisation auf mittlerweile mehr als 50 gestiegen. Über 1.100 Unternehmen aller Größen und Branchen, 900 ehrenamtlich Engagierte und 20 Förderer der öffentlichen Hand bilden das JOBLINGE-Netzwerk. Mit vereinten Kräften konnten über 1.700 Jugendliche auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt unterstützt werden. Wir erfahren zunehmendes Interesse der Medien und Anfragen nach neuen Standorten. Zeitgleich verbessern wir auf Basis unserer Erfahrung und einem intensiven standortübergreifenden Austausch stetig das Konzept.

 

Wie sieht die weitere Planung für die Initiative aus? Sind weitere Standorte in Planung? Auf welche weiteren Entwicklungen dürfen wir uns zukünftig freuen?

Derzeit bauen wir die Standorte Stuttgart und Hamburg auf, zudem wurde im vergangenen Jahr im Gebiet Frankfurt-Rhein-Main ein neues Wachstumsmodell pilotiert, das wir fortsetzen möchten. Ausgehend von einem bestehenden Standort und starken lokalen Partnern werden Filialen in umliegenden Städten und Regionen gegründet, um Perspektiven für viele weitere Jugendliche zu schaffen. Unsere Vision sind 20 Standorte in 2020. Inhaltlich liegt der Fokus u.a. darauf, das Kultur- und Sportprogramm bundesweit zu implementieren und die enge Begleitung während der Ausbildung weiter zu stärken. Zudem möchten wir Reformen im Übergangssystem anstoßen. In der heutigen Förderlogik, in der nach Programmkosten pro Arbeitsloser pro Monat Milliardenbudgets vergeben werden, besteht ein finanzieller Anreiz, die Teilnehmer möglichst lange im System zu halten.  Eine „Umsteuerung“ auf erfolgsabhängige Fördermodelle wie sie im Angelsächsischen über Social Impact Bonds etabliert wird, könnte einen wesentlichen Beitrag zu mehr Transparenz und Effizienz, einer Entlastung von Staat und Steuerzahler und vor allem einer Verbesserung des Angebots im Sinne der Betroffenen leisten.

 Wir bedanken uns für das Interview und wünschen den Joblingen auch weiterhin viel Erfolg!

 

Ulrike Garanin
(
Vorstand JOBLINGE-Dachorganisation und Principal BCG)

Ulrike Garanin wurde 1971 in Essen geboren. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Hochschule St. Gallen, dem Institut d´Etudes Politiques de Paris und der Hochschule Hamburg fing sie 1999 im Münchner Büro der Boston Consulting Group (BCG) als Unternehmensberaterin an, wo sie seit 2003 als Principal Projekte im Bereich Industrial Goods und Social Impact international geleitet hat.

Seit den Anfängen 2007 gehört Ulrike Garanin zu den treibenden Kräften der Initiative JOBLINGE: sie ist Mitinitiatorin von JOBLINGE und heute Vorstand der JOBLINGE Dachorganisation. Als Principal der BCG ist sie für diese Aufgabe freigestellt und verantwortet neben der überregionalen Leitung auch die stete Weiterentwicklung der Initiative und des Konzepts.