Sich mit der Zukunft zu beschäftigen ist spannend und faszinierend – macht manch einem aber auch Angst. Der deutsche Zukunfts- und Trendforscher Sven Gábor Jánszky tut es regelmäßig mit Begeisterung. Er hat gerade im Oktober sein neues Buch „Das Recruiting Dilemma: Zukunft der Personalarbeit in Zeiten des Fachkräftemangels“ veröffentlicht. Ein als Roman geschriebenes Fachbuch. Auf unserem Queb-Forum Ende November, bei der Deutschen Post in Bonn, gab er tiefe Einblicke zum Thema „zukünftige Arbeitswelten“. So sprach er über Fluid und Caring Companies, Bedingungen für das Recruiting der Zukunft und was HR-Verantwortliche schon heute dafür tun können. Aber auch ein Blick über den HR-Tellerrand hinaus blieb nicht aus. Insgesamt ein inspirierender Vortrag, der nachhaltig unsere Köpfe beschäftigte.
Wir haben nachträglich mit ihm gesprochen und ihn gebeten, für uns noch etwas mehr ins Detail zu gehen. Viel Spaß mit dem Interview!
Queb: Sven, skizzier doch für unsere Leser bitte kurz wie wir uns unsere Arbeitsplätze im Jahr 2025 vorzustellen haben. Was wird anders sein? Wo liegen die Herausforderungen für Unternehmen und Mitarbeiter?
Der rasante Wandel in unserer Arbeitswelt bis zum Jahr 2025 wird durch zwei große Trends geprägt: Die Digitalisierung und die Demografie. Die Digitalisierung führt dazu, dass wir beginnen werden, der Technologie mehr zu vertrauen als Menschen. Im Jahr 2020 wird der berühmte IBM-Supercomputer „Watson“ die Größe und den Preis eines normalen Smartphones haben. Auf ihm laufen die Apps der Zukunft, die zu intelligenten Assistenten geworden sind. Für jeden Lebens- und Arbeitsbereich geben sie bessere Antworten, als wir Menschen es bisher können. Sie werden uns also Arbeit abnehmen.
Doch trotz des Verlusts einer Vielzahl von Arbeitsplätzen an die Computer gehen wir trotzdem in eine Ära der Vollbeschäftigung. Die Prognosen sind dabei eindeutig: Der deutsche Arbeitsmarkt verliert in den kommenden zehn Jahren 6,5 Millionen Arbeitskräfte, weil die vielen Babyboomer in Rente gehen und nur die geburtenschwachen Jahrgänge nachrutschen. In der Summe ergibt das über die kommenden Jahre dauerhaft eine nicht zu füllende Lücke an fehlenden Arbeitskräften. Die optimistischen Studien sagen eine Lücke von 2 Millionen voraus, die Pessimisten gehen von 5,2 Millionen aus. Um es einfach zu sagen: Wir werden erleben, dass bei ordentlich ausgebildeten Mitarbeitern jede Woche zweimal der Headhunter klingelt. Das ist für Mitarbeiter das Paradies. Sie bekommen mehr Macht und mehr Geld. Aber für Unternehmen ist das eine Katastrophe. Ihnen droht das, was wir im vergangenen Jahr schon einmal bei einem Stellwerk der Deutschen Bahn in Mainz gesehen haben. Dort haben über drei Wochen die Spezialisten gefehlt. Was war die Folge? Die Züge fuhren an Mainz vorbei. Das Produkt wurde also nicht produziert. Genau das droht in allen Branchen. Wer sich als Unternehmen darauf nicht vorbereitet, für den droht tatsächlich eine Katastrophe.
Queb: Hinzu kommt für die HR`ler das, was Du in Deinem gerade veröffentlichten Buch als „Recruiting-Dilemma“ bezeichnest. Was genau meinst Du damit?
Das Dilemma liegt darin, dass nach unserer Prognose die heute übliche „Anstellung auf Lebenszeit“ auf etwa 30 – 40% der Gesamtarbeitnehmer zurückgeht. Auf der anderen Seite entstehen etwa 30 – 40% sogenannte Projektarbeiter. Diese sorgen für einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt. Denn die lassen sich nicht auf Lebenszeit anstellen, sondern nur für ein Projekt; also für maximal 2 – 3 Jahre. Danach wechseln die Projektarbeiter zumeist wieder das Unternehmen. Für die Unternehmen wird das eine schwere Situation. Sie werden sich also für eine von zwei grundlegenden Strategien entscheiden müssen. Entweder werden sie zu einem „Fluiden Unternehmen“ oder zu einer „Caring Company“. Ich habe diese beiden Strategien in meinem Buch „Das Recruiting Dilemma“ am Beispiel von zwei Personalleitern des Jahres 2025 beschrieben. Beide leben in unterschiedlichen Welten: Melanie Polenz ist Personalchefin im Mittelstand; Thomas Krüger bei einem Konzern. Beide gehen ganz unterschiedliche Wege, dem Fachkräftemangel zu begegnen und ihren Mitarbeiterbedarf zu sichern.
Queb: Kannst Du diese beiden Strategien für unsere Leser bitte noch ein wenig näher beleuchten?
In dieser Situation des permanenten Mitarbeitermangels werden sich die Unternehmen zwischen zwei Strategien entscheiden müssen. Die einen werden zu „Fluiden Unternehmen“. Die Anderen werden zu „Caring Companies“. Fluide Unternehmen werden sehr professionell im „Anziehen“ und „Abstoßen“ von Projektarbeitern. Ihr Ziel ist nicht mehr, die Mitarbeiter zu binden, sondern sie in das lebenslange, persönliche Netzwerk der Führungskräfte aufzunehmen, um immer wieder die Möglichkeit zu haben, den Projektarbeiter für ein Projekt zurück zu holen. Die Caring Companies dagegen werden Bindungen nicht zum Mitarbeiter sondern in sein soziales Umfeld aufbauen. Hier werden in meinem Buch unternehmenseigene Pflegedienste für die Eltern der Mitarbeiter, unternehmenseigenen Schulen für die Kinder der Mitarbeiter und viele andere Maßnahmen eines Corporate Life beschrieben. Das klingt aus heutiger Sicht manchmal etwas idealistisch. Ist es aber nicht! Es ist für die Unternehmen nüchternes Kalkül: Rechnen Sie sich einfach nur aus, was es kostet 40% der Mitarbeiter alle 3 Jahre in einem leergefegten Arbeitsmarkt neu anwerben zu müssen! Nehmen Sie nur die Hälfte dieses Geldes und sie werden ein Corporate Life aufbauen, das zu echter Bindung der Mitarbeiter führt.
Queb: Was würdest Du unseren Unternehmen vor diesen skizzierten Hintergründen raten? Welche Strategien sollten sie, insbesondere auch im HR-Bereich, fahren?
Ich gehe davon aus, dass es einige der zentralen Glaubensregeln heutiger HR-Abteilungen dann nicht mehr geben wird, etwa Stellenprofile, Employer Branding oder Business-Partner-Strategien. Ich versuche die Leser des Buches mitfühlen zu lassen, warum im Jahr 2025 die besten Mitarbeiter gekündigt werden müssen, wie eine Employee Value Proposition entsteht, wie das Corporate Life funktioniert, warum Personaler zu Datenanalysten werden, wie Senior-Trainee- und Unlearn-Programme entstehen, wie Personaler zu Inhouse-Headhuntern und Personalberater zu 360°-Managern werden, warum Menschen bis 80 arbeiten wollen, wie Career Transition Strategien entstehen, warum Sie betriebseigene Schulen gründen werden und eigene Mitarbeiter an die Konkurrenz verleihen, warum der Chief Change Officer den Personalchef ersetzen wird und welche Strategiewege sich für heutige Personaler in den kommenden zehn Jahren ergeben.
Queb: Bist Du der Meinung, dass Employer Branding vor diesem Hintergrund an Bedeutung gewinnt? Oder hältst Du es für ausreichend, gute Arbeit im Personalmarketing und insbesondere dem Recruiting zu leisten?
Ja und Nein! Für eine ehrliche Antwort müssen wir versuchen, uns in die Gedankenwelt dieser Projektarbeiter des Jahres 2025 hineinzuversetzen. Zuerst entdecken wir dort, dass die bisher prägende Grundangst unserer Gesellschaft verschwunden ist: Die Angst von dem Verlust des Jobs. Wir werden erleben, dass sich unser aller Sicherheitsempfinden deutlich verändert; übrigens damit auch die großen Themen in Politik und Gesellschaft. Das führt bei den Mitarbeitern zunächst zu höheren Löhnen. Danach führt es dazu, dass Geld unwichtiger wird und andere Kriterien bei der Entscheidung für oder gegen Jobs aufkommen: 1. Persönliche Herausforderung, 2. Gesellschaftlicher Sinn, 3. Exzellentes Team. Kurz darauf führt die Entwicklung dazu, dass Mitarbeiter zu Jobnomaden werden und projektweise ihre Arbeitgeber wechseln.
Die Downside der Geschichte ist die Frage nach der Zufriedenheit bei unserer Arbeit. Denn der ständige Mangel an guten Mitarbeitern führt dazu, dass immer mehr minderqualifizierte Mitarbeiter auf höherqualifizierte Stellen gesteckt werden. Sie werden sich Mühe geben und viel Geld verdienen. Aber sie werden auch permanent das Gefühl haben, dass sie die hohen Anforderungen nur unzureichend erfüllen. Das kann auf Dauer unglücklich machen.
Was geschieht nun in dieser Situation mit den bisherigen Employer Branding Strategien? Zunächst werden sie immer wichtiger, weil die Unternehmen krampfhaft versuchen, Ihre Mitarbeiter zu halten. Irgendwann kippt die Situation aber ins Gegenteil, denn die Unternehmen verstehen, dass es mit den bisherigen Employer Branding Strategien unmöglich wird, die Mitarbeiter zu halten. Denn so gut die Strategie auch ist, die 40% Projektarbeiter wollen nicht gebunden und nicht gebranded werden. Denn bei ihnen ruft zweimal in der Woche der Headhunter an. Sie wissen, dass sie jederzeit kündigen können und morgen bei 5 – 10 anderen, interessanteren Projekten anfangen können.
In dieser Situation wird sich das Employer Branding dann zur Employee Value Proposition weiterentwickeln. Die Unternehmen werden allmählich begreifen, dass sie letztendlich nur ein passender (oder unpassender) Mosaikstein in der Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter sind. Die Employer Value Proposition entsteht aus dem Gedanken, dass sich in dieser Situation des Mangels an Arbeitskräften, die Machtverhältnisse umdrehen. Nicht mehr Mitarbeiter bewerben sich bei Unternehmen, sondern Unternehmen bewerben sich bei Mitarbeitern. Und um das erfolgreich tun zu können, muss ein Unternehmen einem potenziellen Mitarbeiter genau und detailliert erklären, wie ihn diese Arbeit in diesem Projekt in seinem persönlichen Potenzialentfaltung die nächsten Schritte voran bringt.
Um diese tun zu können, muss ich den potenziellen Mitarbeiter und seine Wünsche, Bedürfnisse, Ziele genau kennen. Der HRler wird also großteils zum Datenanalysten. Doch auch die zu analysierenden Daten verändern sich. Bei unseren Eltern waren die zu analysierenden Daten noch das „Wissen“ und die „Abschlüsse des Mitarbeiters“. Bei unserer Generation ging es schon weniger um Abschlüsse, sondern um die „Kompetenzen des Mitarbeiters“. Bei der Generation der Projektarbeiter werden die zu analysierenden Daten das „Potenzial des Mitarbeiters“ sein.
Wer als HRler dies ernst nimmt, der wird versuchen zum persönlichen Karrierecoach seiner Mitarbeiter zu werden: Mit perfekten Ratschlägen und Angeboten individuell für jeden Mitarbeiter und adaptiv für jede Veränderung im Leben dieses Mitarbeiters. Wenn wir dies schaffen, dann haben wir das Employer Branding weiterentwickelt zur „Employee Value Proposition“. Diese ist allerdings immer und für jeden Mitarbeiter individuell und situativ. Das oberste Ziel von Personalentwicklung und Employer Value Proposition wird also sein, den Mitarbeiter so weit zu entwickeln, dass er letztendlich zu gut für das Unternehmen wird und geht.
Queb: Findest Du, dass Arbeitgeber heute schon überwiegend richtig aufgestellt sind? Wo ist Nachholbedarf? Was empfiehlst Du?
Nein! Es gibt einige gute Ansätze. Aber überwiegend sind die Arbeitgeber falsch aufgestellt. Und zwar in nahezu allen Bereichen der HR. Der Grund ist, dass die HR über Jahrzehnte in einem Angebotsmarkt gelebt hat. Es war die Zeit der Massenarbeitslosigkeit, in der es immer mehr Angebot als Nachfrage gab. Für dieses Umfeld hat die HR in den letzten Jahren ihre Studenten ausgebildet und ihre Methoden bis zur Perfektion optimiert. Und jetzt, nachdem man das alles geschafft hat, schaut man hoch und erkennt langsam: Das Umfeld ist nicht mehr da. Es tritt genau das Gegenteil ein: Ein Nachfragemarkt, für den all die Methoden des Recruiting und Employer Branding komplett falsch sind. Das Problem für die HR ist: In unseren Unternehmen gibt es bereits Abteilungen, die sehr genau wissen, wie man strategisch in Nachfragemärkten handeln muss. Es sind die Vertriebs- und Innovationsexperten. So komisch es klingt: Ihre Expertise passt für die Anforderungen an die HR der Zukunft vermutlich oftmals besser, als die der HR-Leute.
Ich prognostiziere, dass die HR-Abteilungen viele ihrer heutigen Aufgaben als Dienstleister oder Business Partner verlieren werden. Das Recruiting wird durch die Führungskräfte und deren persönliche Netzwerke übernommen. Die Personalentwicklung wird zu großen Teilen an Personalberater outgesourced. Arbeitsverträge und Lohnberechnung übernehmen die Rechts- und Finanzabteilung.
Queb: Was bleibt dann noch für HR?
Sehr viel, wenn sie ihre strategische Chance erkennt. Ich beschreibe den Personalchef der Zukunft als „Chief Change Officer“ und den Personalmanager als „Change Officer“. Ihre Abteilung wird sozusagen zum Herz des Unternehmens. Denn sie sorgt dafür, dass die richtigen Mitarbeiter stets die richtigen Aufgaben und Verantwortungen bekommen, dass diese fluide zwischen den Teams und Abteilungen hin und her geschoben werden und dass die vielen Projekte koordiniert werden. Ihr Hauptinstrument ist die Veränderungslandkarte des Unternehmens.
Es ist aber aus heutiger Sicht nicht sicher, wer zu diesem Chief Change Officer wird. Ein strategisch denkender Personalchef hat ebenso eine Chance, wie eine Top-Führungskraft mit anderem Hintergrund. Es ist kein Zufall, dass in dem fiktiven Personaleralltag des Jahres 2025 in meinem Buch die Personalabteilung mit der Innovationsabteilung fusioniert ist. Der Innovationschef wurde zum Chief Change Officer auf Vorstandsebene, der Personalchef wurde zum Chief Changer, eine Ebene darunter. Ich glaube, dies wird in vielen Unternehmen ein typisches Muster werden.
Queb: Zuletzt interessiert uns noch, welche Unternehmen Deiner Meinung nach heute schon auf dem richtigen Weg sind, um das Recruiting-Dilemma zu vermeiden? Welche Vorreiter siehst Du hier schon?
Es sind diejenigen Unternehmen, die in ihrer DNA schon die Erfahrung des „Arbeitsmarktes der Vollbeschäftigung“ aufgenommen haben. Im Silicon Valley gibt es schon seit Jahren jenen substantiellen Mangel an Fachkräften, der in Deutschland erst noch kommen wird. Viele der großen und kleinen Unternehmen des Valles haben sehr moderne Personalstrategien, die uns oft unverständlich erscheinen: Etwa die „Mastery-Autonomy-Impact“-Logik von Google, die „Entscheiden Sie selbst mit Menschenverstand“-Urlaubsregeln bei Netflix oder die Social-Freezing-Kostenübernahme bei Facebook und Apple. All diese Strategien werden wir hier in Deutschland in den kommenden zehn Jahren auch sehen.
Wer sich heute schon mit den empfehlenswerten Strategien für den deutschen Markt beschäftigen will, dem kann ich auch die neuste HR-Trendstudie aus meinem Trendforschungsinstitut ans Herz legen. Sie beschreibt 6 Strategieoptionen und einen Module-Baukasten von 48 Einzelmodulen, aus denen sich jede HR-Abteilung ihre Zukunftsstrategie zusammenbauen kann. Die Studie ist kostenlos downloadbar unter: http://www.2bahead.com/studien/trendstudie/detail/trendstudie-hr-management-der-zukunft/
Sven, vielen lieben Dank für dieses anregende Interview. Es hat uns viel Spaß gemacht mit Dir! Jetzt aber erst mal ein geruhsames Weihnachtsfest und einen fröhlichen Rutsch in ein gutes 2015.