Azubi-Mangel: Wieso, weshalb, warum und was kann man tun?

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Der Trend hin zu einem Mangel an Auszubildenden hält schon seit Jahren an. So schlecht wie zuletzt 2021 lief es aber schon länger nicht mehr. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzte, dass im Ausbildungsjahr 2021 rund 40 Prozent aller Lehrstellen unbesetzt bleiben würden. Gleichzeitig meldet der Deutsche Gewerkschaftsbund nach einem Rückgang von bereits 13,5 Prozent im Jahr 2020 für 2021 ein weiteres Minus von 7,7 Prozent in Bezug auf die Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge.

Azubi-Mangel ständiges Thema der Queb AG Schülermarketing

Bei Queb beschäftigt sich die Arbeitsgruppe Schülermarketing seit Jahren damit, was Schüler um ihren Schulabschluss herum beschäftigt, auf welchen Kanälen sie gut erreichbar sind und wie man sie für die Vielfalt der möglichen Ausbildungsberufe begeistern kann. Die Schüler von heute sind die neuen Mitarbeiter von morgen, lautet das Arbeitsmotto der Queb AG Schülermarketing unter der Leitung von Torsten Brandt (Ausbildungsmarketing bei Bayer) und Meike Molnar (Personalmarketing Spezialist bei Accenture).

Dementsprechend viel Raum nimmt das Thema Azubi-Mangel innerhalb der AG ein. Einige Queb Mitgliedsunternehmen, auch außerhalb der AG Schülermarketing, berichten, dass die Anzahl der Bewerber auf eine Ausbildungsstelle zuletzt um etwa 30 Prozent eingebrochen ist. Bei einigen Unternehmen sind es sogar 50 Prozent weniger Bewerbungen als noch im Vorjahr. Und nicht nur die Menge der Bewerber nimmt seit Jahren ab. Viele Unternehmen berichten ebenfalls über einen Rückgang der Qualität.

Viele Unternehmen setzen die Ansprüche ihrer Einstellungstests seit Jahren stetig herab, um mehr Bewerbereingänge zu erhalten. Dabei liegt auf der Hand, dass das auf Dauer keine Lösung ist.

Die zuständigen Abteilungen in den Unternehmen bekommen häufig zu hören, sie sollten einfach mehr Werbung machen. Doch so einfach ist das nicht. Das Problem ist vielschichtig und komplex und einfache Patentlösungen existieren nicht.

Was macht den Azubi-Mangel kompliziert?

Komfortzone Schule: Von einer Quelle aus der Agentur für Arbeit haben wir erfahren, dass offensichtlich eine immer größere Zahl von Schülern die Komfortzone Schule nicht verlassen wollen. Eher verlängern sie die schulische Phase durch den Besuch der Oberstufe, eines Berufskollegs oder einer (Fach-) Hochschule, als ins Berufsleben zu starten. Die vermeintliche Strategie dahinter: Warten auf bessere Zeiten. Wie viele von ihnen dann stattdessen ohne Berufsausbildung in Aushilfs- oder Minijobs wechseln scheint gar nicht bekannt zu sein. Und erst recht wäre ein Blick in die Glaskugel nötig, um zu sehen, ob später noch mal – nach zwei oder drei Jahren – eine relevante Zahl dieser jungen Menschen zu einer Ausbildung zurückkehren würde.

Schüler machen sich Sorgen um ihre Zukunft

Die Frage, ob Schüler sich Sorgen machen, wenn sie an die Ausbildungssuche denken, beantworteten in der Studie Startklar 2021 von Ausbildung.de 70 Prozent der 2828 Teilnehmer mit Ja.

Azubi-Mangel: Studie Startklar 2021 Ausbildung.de

Quelle: Startklar 2021; Die Schülerstudie von Ausbildung.de

Ausbildungsmarketing im Schraubstock

Und während die Schulen in der Corona-Krise darum bemüht sind, mit den gegeben Mitteln irgendwie den Betrieb aufrechtzuerhalten, kommen für Kinder und Jugendliche weitere Herausforderungen dazu: Veränderte Lernsituationen, Wissenslücken, fehlender Austausch mit Gleichaltrigen, Verstärkung von Bildungsungleichheiten (s. bspw. Infografik des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. unten) sowie ausbleibende Informationsangebote zu Berufsausbildungen durch Unternehmen beispielsweise. Auch die sonst üblichen Praktika, Karrieremessen und sonstige Infoveranstaltungen zur Berufsorientierung haben über längere Zeiträume und insbesondere während der Lockdowns zu großen Teilen überhaupt nicht stattgefunden.

Abitur und Studium nach wie vor angesehener als Ausbildung

Nach wie vor siedeln Politik und Gesellschaft Abitur und Studium als den besseren Bildungsweg an. Das ist natürlich kein neues Problem. Eine veränderte Kommunikation sollte dieser Wahrnehmung schon längst entgegenwirken. Alternative Wege zu einer glücklichen beruflichen Zukunft müssen mehr ins Bewusstsein gebracht werden, wozu es neben Elternhaus und Schule wiederum auch Messen, Praktika & Co. braucht.

Azubi-Mangel Infografik

Quelle: DIW Wochenbericht 47 / 2020

Unsicherheit macht Angst

Erschwerend kommt hinzu, dass derzeit niemand gerne eine Ausbildung im Bereich Gastronomie startet, während die Gäste fehlen. Das Beispiel dient hier lediglich für ein berufsübergreifendes Symptom der Corona Pandemie, dass auf zahlreiche Berufsgruppen übertragbar ist.
Dass bei Jugendlichen durch diese Situation eine grundsätzliche Angst vor der Zukunft entsteht, ist verständlich. Ein Forschungsteam der Universitäten Hildesheim und Frankfurt zeigt das eindrücklich durch die Online-Befragung JuCo2.

Einfach mehr Werbung gegen den Azubi-Mangel machen?

Karrieremessen, Informationsangebote und Schülerpraktika werden auch weiterhin wichtige Bausteine in Sachen Kandidatenbindung bleiben. Es bleibt also zu hoffen, dass die Corona Situation in Bälde wieder mehr dieser Möglichkeiten zulässt.

Einfach mehr Werbung zu machen ist aber weder eine Patentlösung noch ist es mal eben so gemacht. Abgesehen vom Budget geht es vielmehr um die Frage nach dem richtigen Kanal sowie den jeweils vorhandenen Targeting-Möglichkeiten zur Ansprache.

Ausnahmen bestätigen zwar die Regel, dennoch lässt sich aus Erfahrung unserer Mitgliedsunternehmen sagen, dass dem Azubi-Mangel kein grundsätzlicher Mangel an Quantität in der Werbung oder fehlende Experimentierfreude zugrunde liegt.

Eingeschränktes Targeting

Insbesondere bei den viel beschworenen sozialen Netzwerken wurden die Möglichkeiten zum Targeting der Zielgruppen zuletzt jedoch ausgedünnt. Das Vorhaben großer Plattformen, ihre eigens verursachten negativen gesellschaftlichen Auswirkungen wettzumachen, ist absolut begrüßenswert. Für Werbetreibende bringt die Umstellung im Targeting allerdings erhebliche Veränderungen mit sich.

Übrigbleibende Kriterien reichen zur Ansprache kaum noch aus. Alter und Stadt sind als Kriterien beispielsweise höchstens für grobmaschige Kampagnen zu gebrauchen. Interessen sind als Kriterium mittlerweile stark begrenzt. Dabei wären gerade sie wichtig, um die Werbung denjenigen korrekt auszuspielen, die für eine passende Ausbildung tatsächlich infrage kämen. Wer bewirbt sich schon auf eine Anzeige für den Beruf Tischler, wenn er gerne etwas mit Menschen machen möchte? Sich stattdessen darauf zu verlassen, dass junge Menschen in sozialen Netzwerken korrekte Angaben zu ihrem Alter oder Wohnort machen, ist – auch über der Azubi-Marketing hinaus – dünnes Eis.

Komplexität bei der Auswahl der Kommunikationsmöglichkeiten

Die folgende Abbildung von App Annie, einem führenden Anbieter für Daten und Analysen rund um die Themen Mobilfunk, Apps und App-Stores, steht sinnbildlich für die Herausforderungen, denen Unternehmen im Bereich Social Media ausgesetzt sind. Die ständig wechselnden Trends im Bereich Social-Media-Marketing machen es schwierig, stets den richtigen Werbekanal für die verschiedenen Zielgruppen zu finden. Von den stetigen Veränderungen und Weiterentwicklungen innerhalb der jeweiligen Plattformen ganz zu schweigen. Während die Abbildung sich lediglich auf die Downloads der jeweiligen Apps konzentriert, sagt sie noch nichts über die jeweilige Verweildauer der Nutzer innerhalb der App aus. Bezüglich der Nutzungsdauer wurde Facebook beispielsweise 2018 von YouTube abgelöst, welches seither Platz 1 belegt.

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Quelle: App Annie 2021

Generation One-Klick-Buy

Letztlich kommt noch ein weiterer Aspekt erschwerend hinzu. Bewerber verändern nicht nur ihr Verhalten auf Plattformen, sondern die Plattformen verändern auch das Verhalten der Nutzer. Wir alle haben uns nur allzu sehr an das Prinzip One-Klick-Buy gewöhnt. Egal, ob es um Kleidung, Lebensmittel, Micro-Learnings oder den Job geht. Auch bei Tests oder Interviews wünschen Bewerber sich zunehmend weniger Hürden und Vorbereitung. Schlechte Online-Formulare, lange Wartezeiten oder die Formulierung langwieriger Anschreiben gehören aber stattdessen zur Tagesordnung. Obwohl etliche Unternehmen auf das Anschreiben inzwischen schon bewusst verzichten oder wie Fielmann einen Test-Trainer vorab und ohne Einfluss auf die Bewerbung anbieten, bleibt die Macht der Gewohnheit stark. Wenn Shopping so mühelos geht, muss das für den Ausbildungsplatz doch wohl auch so sein, oder? HR-Dauerthemen, wie die Candidate Experience werden auch weiterhin entscheidend dafür sein, welche Unternehmen die Nase vorn haben.

FAZIT

Für die vielen unterschiedlichen Gründe des Azubi-Mangels braucht es einen Blumenstrauß an Lösungen, um dem Problem zu begegnen. Eine Patentlösung für den Azubi-Mangel gibt es jedenfalls nicht. Den Kopf in den Sand zu stecken, wird auf keinen Fall helfen. Weitermachen, experimentierfreudig und offen für neue Wege zu bleiben, ist alternativlos.

Herausforderungen wie Corona und der demografische Wandel werden sich tendenziell aufsummieren. Was heute in der Ausbildung fehlt, fällt später nicht vom Himmel. Aktuelle Zahlen gehen davon aus, dass allein in NRW in den kommenden fünf Jahren 340.000 Beschäftigte aus Ausbildungsberufen in Rente gehen.

Es bleibt zu hoffen, dass Informationsangebote wieder zunehmen, wenn wir uns gesellschaftlich daran gewöhnen, dass Corona in Zukunft zu unserem Alltag gehört. Allein Corona für den Azubi-Mangel verantwortlich zu machen, greift zu kurz, obwohl die Pandemie sicher zu einer Verschärfung der Situation beiträgt. „Schwankungen bei der Bewerberanzahl hat es schon immer gegeben”, sagt Torsten Brandt (Leiter der Queb Arbeitsgruppe Schülermarketing). “Doch das Zusammenspiel aus Demographie, geringerer Berufsorientierung an Schulen in Zeiten der Pandemie sowie dem gesellschaftlichen Sturm und Drang in Richtung “Verlängerung der Komfortzone” durch Schule oder Studium – all das macht unsere Aufgaben im Schülermarketing aktuell spannender und fordernder als je zuvor.“

Im Moment scheint die Situation sowohl für Unternehmen als auch Azubis aber besonders schmerzhaft zu sein.

Azubi Mangel
Statistic Id2042 Ausbildungsplaetze Angebot Und Nachfrage In Deutschland Bis 2020
Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage von Ausbildungsplätzen gibt es schon lange, wie die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen.

Noch mehr Wissensdurst?

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Bildquelle: NeONBRAND on Unsplash