Sozialer Aufstieg und Diversität: Wie das Netzwerk Chancen Menschen und Unternehmen hilft

 02. Oktober 2023

Das Netzwerk Chancen fördert den sozialen Aufstieg und bringt gleichzeitig Diversität in Unternehmen. Die Initiative von Natalya Nepomnyashcha bietet jungen Erwachsenen aus ganz Deutschland Workshops, Mentoring, ein starkes Netzwerk sowie Kontakte zu Arbeitgebenden. Letztere können das Netzwerk Chancen auf verschiedene Weise unterstützen.

Natalya Nepomnyashcha erklärt im Interview, was die Vorteile für alle Beteiligten sind.

Wir wünschen Euch viel Spaß und Inspiration beim Lesen!

Stell dich unseren Leser*innen bitte einmal kurz vor! Wer bist du und was machst du beruflich?

Sozialer Aufstieg und Diversität: Wie das Netzwerk Chancen Menschen und Unternehmen hilft | Gründerin Natalya Nepomnyashcha

Ich wurde 1989 in Kyiv geboren und wuchs in einem sozialen Brennpunkt in Bayern auf. Ohne Abitur habe ich 2012 einen Masterabschluss in Großbritannien erworben. Nach meinem Studium der Internationalen Beziehungen war ich unter anderem für eine internationale NGO tätig und arbeite heute für eine der weltweit führenden Unternehmensberatungen. 2016 habe ich nebenberuflich Netzwerk Chancen gegründet, ein Sozialunternehmen, das ich ehrenamtlich leite.

Was genau macht Netzwerk Chancen?

Netzwerk Chancen ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für sozialen Aufstieg in Deutschland einsetzt. Den Kern unserer Arbeit bildet ein Förderprogramm. Wir unterstützen über 2.100 junge Talente bei der beruflichen Entwicklung. Die Mehrheit von ihnen sind junge Fachkräfte mit Hochschulabschluss, die in sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen aufgewachsen sind. Die Mitglieder, im Alter zwischen 18 und 39 Jahren, profitieren von kostenlosen Angeboten wie Workshops, Coachings, Mentoring und Jobmöglichkeiten bei Partnerunternehmen.

Unternehmen begleiten wir wiederum in verschiedenen Bereichen wie Recruiting, Employer Branding, Mitarbeitendenbindung oder Corporate Volunteering. Besonderes Augenmerk legen wir dabei auf die Förderung von Diversität und Mitarbeitendenmotivation, mit dem Ziel, Geschäftsführer*innen und Personaler*innen für die Vielfaltsdimension soziale Herkunft zu sensibilisieren.

Wir unterstützen Unternehmen aber auch dabei, ihre Bestrebungen zur Förderung von sozialer Vielfalt praktisch umzusetzen. Dies kann zum Beispiel die Entwicklung von Diversitätsstrategien und -maßnahmen umfassen, um eine inklusive Arbeitskultur zu schaffen, in der Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft ihr volles Potenzial entfalten können.

Als gemeinnützige Initiative möchten wir dazu beitragen, sozialen Aufsteiger*innen die Unterstützung zu bieten, die sie brauchen, um ihren beruflichen Weg zu gehen sowie gleichzeitig Diversität in Unternehmen fördern und damit eine Brücke zwischen aufstrebenden Fachkräften und Unternehmen bauen.

 Ein wichtiger Meilenstein von Netzwerk Chancen ist, dass soziale Herkunft im Jahr 2021 als Diversity-Faktor in die Charta der Vielfalt aufgenommen wurde. Darauf haben wir viele Jahre hingewirkt. Seitdem arbeiten wir daran, dass Unternehmen soziale Vielfalt nicht nur als Bereicherung für ihr Team begreifen, sondern diese auch als Faktor für unternehmerischen Erfolg und soziale Verantwortung erkennen.

Wie ist die Idee, Netzwerk Chancen zu gründen, entstanden?

Die Idee für die Gründung von Netzwerk Chancen kam mir 2016 hier in Berlin. Ich bin mit Hartz IV aufgewachsen und habe zudem noch einen Migrationshintergrund. Mein Bildungsweg und Berufsstart waren ziemlich kompliziert: Ich habe nie Abitur gemacht und über Umwege bin ich im Anschluss an meine Ausbildung zu einem Master-Abschluss gekommen. Mit dem Berufseinstieg kamen weitere Rückschläge, bis ich meinen ersten Job antreten durfte und heute beruflich angekommen bin.

Nach dem Berufseinstieg wollte ich etwas verändern und für Chancengleichheit von Kindern und jungen Menschen aus benachteiligten Verhältnissen kämpfen. Deshalb habe ich Netzwerk Chancen gegründet. Daraus entwickelte sich dann später die Idee des ideellen Förderprogramms “Netzwerk Chancen. Aufsteiger” für junge soziale Aufsteige*innen und die Idee, auch mit Unternehmen genau an diesen Herausforderungen zu arbeiten.

Welche Art von Unterstützung bietet das Netzwerk Chancen den sozialen Aufsteiger*innen an und wie fördert ihr deren Weiterentwicklung?

Das Förderprogramm „Netzwerk Chancen. Aufsteiger“ unterstützt soziale Aufsteiger*innen dabei, ihre beruflichen Ziele zu verwirklichen. Das Programm ist darauf ausgerichtet, Fähigkeiten zu stärken und die persönliche Entwicklung zu fördern. In individuellen Einzelcoachings erhalten Teilnehmer*innen maßgeschneiderte kostenfreie Unterstützung, um ihre Stärken gezielt zu erkennen und auszubauen. Hierbei stehen ihnen erfahrene Expert*innen zur Seite.

Die praxisorientierten Workshops vermitteln essenzielle berufliche und persönliche Fähigkeiten. Von Kommunikation über Networking bis hin zur Karriereplanung bereiten wir sie auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vor. Zusätzliche Netzwerk-Events schaffen eine Plattform für Kontakte, persönliche Einblicke und gegenseitige Unterstützung.

 Das Mentoring im Rahmen des Tandemprogramms ist ein weiterer wichtiger Baustein der individuellen Begleitung. Durch das Matching mit erfahrenen Fach- und Führungskräften erhalten unsere Mitglieder wertvolle Anleitung und Unterstützung für die Dauer eines Jahres. Ergänzt wird das Programm durch ein Karrierezentrum, das Mitglieder bei Bewerbungen und beruflichen Herausforderungen wie der nächsten Gehaltsverhandlung unterstützt.

Wie wählt ihr die Aufsteiger*innen aus und welche Kriterien müssen sie erfüllen, um mitmachen zu können?

Wir definieren „sozial benachteiligt aufgewachsen“ anhand von zwei Kriterien, wovon mindestens eines auf die Person zutreffen sollte: Entweder sind unsere Mitglieder in finanzschwachen Verhältnissen aufgewachsen oder kein Elternteil besitzt eine akademische Ausbildung. „Soziale Herkunft“ ist hierbei nicht gleichzusetzen mit „ethnischer Herkunft“. Das bedeutet, dass sowohl Menschen mit als auch ohne Migrationshintergrund von uns gefördert werden.

Die Teilnahme an unserem Programm ist bewusst niedrigschwellig gestaltet: Eine Anmeldung erfolgt unkompliziert über www.netzwerk-chancen.de/aufsteiger.

Kannst du inspirierende Geschichten und Erfolge von sozialen Aufsteiger*innen teilen, die durch das Projekt ermöglicht wurden?

Sehr inspirierend ist die Geschichte von Meryem und Daniela, die im Rahmen des Tandemprogramms ein Jahr lang an den Herausforderungen, die Meryem aufgrund ihrer sozialen Herkunft erfuhr, gearbeitet haben: Die Aufsteigerin studierte damals und erlebte die Zeit der Corona-Pandemie mit den damaligen gesellschaftlichen Einschränkungen als besondere Belastung. Sie konnte ihre Familie, die im nichteuropäischen Ausland lebt, in dieser Zeit nicht besuchen, litt unter großer Prüfungsangst sowie schwindender Motivation und schlechter werdenden Noten im Studium. Auch ihr damaliges Stipendium endete, was zu finanziellen Sorgen führte.

Unterstützung fand Meryem im Tandemprogramm von Netzwerk Chancen. Als Mentorin begleitete sie dann ein Jahr Daniela. Durch Gespräche im Mentoring und zusätzliche Coachings im Rahmen des Förderprogramms hat sich Meryems Situation schnell zum Positiven entwickelt. Ihr Notendurchschnitt verbesserte sich von 3 auf 1. Sie überwand ihre Prüfungsangst, fand „ihren Traumjob“ nach dem zweiten Bewerbungsgespräch und erhielt eine Zusage für ein weiteres Stipendium. Ein sehr gutes Beispiel dafür, wie individuelle Begleitung das Selbstbewusstsein stärkt und hilft, berufliche Ziele zu erreichen.

Welche Rolle spielen Mentoring-Programme im Rahmen von Netzwerk Chancen und wie tragen sie zur persönlichen Entwicklung der Aufsteiger*innen bei?

Im Kontext von sozialer Benachteiligung können Mentoringprogramme Menschen dabei unterstützen, ihre Ziele zu erreichen und ihr Potenzial voll auszuschöpfen: Mentor*innen können Mentees motivieren, mit ihnen berufliche Ziele und Strategien herausarbeiten und Ratschläge sowie Einblicke basierend auf ihren eigenen Erfahrungen und Branchenkenntnissen geben. Indem sie im Tandem daran arbeiten, realistische Ziele zu setzen und mögliche Wege zu definieren, um Hindernisse zu überwinden, können Mentor*innen auch bei der Karriereplanung helfen.

Besonders in Hinblick auf Chancengleichheit kann der Zugang zu beruflichen Netzwerken über Mentor*innen einen großen Unterschied für die Teilnehmenden machen. Mentor*innen können ihre eigenen Kontakte teilen und den Mentees dabei helfen, Verbindungen in verschiedenen Branchen und Berufsfeldern aufzubauen. Außerdem kann persönliche Unterstützung von Mentor*innen dazu beitragen, dass soziale Aufsteiger*innen mehr Selbstvertrauen aufbauen, indem sie ermutigende Gespräche führen und kleine und große Erfolge feiern. Dabei können sie Fähigkeiten und Kompetenzen herausarbeiten, die für den beruflichen Erfolg wichtig sind, zum Beispiel berufsspezifische Fähigkeiten oder Soft Skills wie Kommunikation, Teamarbeit und Problemlösung oder der Umgang mit beruflichen Herausforderungen.

Aber auch die Mentor*innen profitieren vom Austausch, indem sie Inspiration und neue Erkenntnisse erlangen, oder für die Herausforderungen von sozialen Aufsteiger*innen sensibilisiert werden.

Wie funktionieren bei euch die Unternehmenspartnerschaften und welchen Mehrwert bietet Netzwerk Chancen den Unternehmen?

Mit unserer Expertise setzen wir Impulse für Vielfalt in der Arbeitswelt und beraten Unternehmen in Bezug auf die Dimension soziale Herkunft im Kontext von Diversity. Denn diverse Teams sind nicht nur leistungsstärker, sondern auch innovativer. Um diese Potenziale optimal zu nutzen, ist ein angemessener Umgang mit solchen Teams entscheidend. Neben inspirierenden Impulsvorträgen über die Chancen sozialer Diversität bieten wir auch praxisorientierte Workshops, gezielte Jobpostings und individuelle Beratung an. Zudem ist die Beteiligung von Mitarbeitenden eines Partnerunternehmens an unserem Mentoring-Programm ein wichtiger Bestandteil unseres Leistungsspektrums. Damit möchten wir ein Bewusstsein für das Thema soziale Diversität schaffen und effektive Strategien im Umgang mit einer vielfältigen Belegschaft vermitteln. Unser Fokus liegt darauf, nicht nur kurzfristige Veränderungen herbeizuführen, sondern langfristige Partnerschaften mit Unternehmen einzugehen, um nachhaltige positive Veränderungen in der Unternehmenskultur zu bewirken.

Gibt es über die Unternehmenspartnerschaften hinaus noch andere Wege, um Netzwerk Chancen zu unterstützen?

Als gemeinnützige Organisation freuen wir uns über einmalige oder regelmäßige Spenden: Unternehmen oder Institutionen, aber auch Privatpersonen, haben die Möglichkeit, uns mit einer einmaligen oder regelmäßigen Spende zu unterstützen: https://www.netzwerk-chancen.de/spenden

Wir sind außerdem jederzeit auf der Suche nach ehrenamtlichen Unterstützer*innen für unser Team. Wer uns ehrenamtlich unterstützen möchte, kann sich hier informieren: www.netzwerk-chancen.de/mitmachen.

Was sind eure Ziele für die Zukunft?

Wir möchten auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien für die Dimension soziale Herkunft begeistern, verantwortungsvolle Unternehmen erreichen, die unsere Mission teilen, und unser Förderprogramm sowie unsere Mitgliederzahl signifikant ausbauen.

Vielen lieben Dank für den Einblick! Wir wünschen Netzwerk Chancen auch für die Zukunft viel Erfolg. Schön, dass ihr hier wart und wir über dieses wichtige Thema sprechen konnten.